JULIA FESTIVAL Band 97
ist verständlich, oder? Deshalb habe ich ihr erzählt, du wärst noch einige Tage hier und ich hätte keinen Platz.“
„Ashley!“
„Eine andere Ausrede fiel mir so rasch nicht ein. Wenn du jetzt zurückfliegst, wird sie es sicher herausfinden.“
„Wie denn?“ Tess war verblüfft. „Andrea und ich haben uns doch noch nie besucht und nur selten miteinander telefoniert.“
„Ach, ich weiß es auch nicht.“ Ashley machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich traue ihr zu, dass sie es nachprüft, besonders nachdem du sie angerufen und nach mir gefragt hast.“
„Da fällt mir ein, du hast offenbar deiner Mutter gegenüber behauptet, ich hätte dich ermutigt, nach Italien zu gehen.“
„Das kann sein“, gab Ashley gleichgültig zu. Als Tess sie entsetzt ansah, fügte sie hinzu: „Du weißt, wie sie ist. Sie meint, sie müsste mich kontrollieren. Ich dachte, es würde die Sache für mich erleichtern und mir Vorwürfe ersparen, so zu tun, als hättest du mir zu diesem Schritt geraten.“
Tess schüttelte den Kopf. „Du verblüffst mich immer wieder.
Du denkst nur an dich. Auf andere nimmst du keine Rücksicht.“
„Ach, Tess, so schlecht bin ich wirklich nicht. Versprich mir, dass du noch hierbleibst.“
„Deine Mutter würde mich bestimmt nicht anrufen oder besuchen. Sie weiß ja, dass du wieder aufgetaucht bist.“
„Ja, trotzdem ist sie misstrauisch. Weil sie unbedingt wissen wollte, warum ich nicht zu erreichen war, habe ich behauptet, mein Handy funktioniere momentan nicht.“
„Was hast du ihr sonst noch erzählt? Wo bist du angeblich gewesen?“
„In Venedig“, antwortete Ashley unbekümmert. „Ich habe gesagt, Signor Scottolino hätte mich gebeten, dort mit einem seiner Künstler zu verhandeln.“
Tess konnte es kaum glauben. „Es ist geradezu erschreckend, wie glatt dir die Lügen über die Lippen kommen.“
„Ich denke nur praktisch. Wie ich schon erwähnt habe, kann ich meine Mutter momentan hier nicht gebrauchen.“
„Macht es einen Unterschied, ob sie morgen oder übermorgen oder nächste Woche kommt?“
„Nächste Woche lasse ich mir etwas anderes einfallen.“ Ashley ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ich könnte ihr dann sagen, dass ich bald meinen Job verliere und nach England zurückkomme. Es würde sich für sie in dem Fall nicht mehr lohnen, nach Italien zu fliegen.“
„Du bist völlig skrupellos.“
Ashley zuckte wieder die Schultern. „So würde ich es nicht nennen. Man muss sich nur durchsetzen, das ist alles. Aber ich erwarte nicht, dass du es verstehst.“
Doch, ich kann es verstehen, dachte Tess. Sie senkte den Kopf und aß etwas Schinken mit Melone. Wenn sie sich am Abend zuvor Raphael gegenüber nicht durchgesetzt hätte, wäre er wieder gegangen, ohne sie zu berühren. Sie hatte sich entschieden, ein einziges Mal in ihrem Leben unvernünftig zu sein und nur an den Augenblick zu denken.
Wäre es nicht auch in ihrem eigenen Interesse, wenn sie noch länger hierbliebe? Ihr war klar, dass sie Ashley nicht trauen konnte. Am besten würde ich mit dem nächsten Flugzeug nach London fliegen, das wäre das Vernünftigste, überlegte sie. Sie konnte ihre Schwester sowieso nicht beeinflussen. Und Raphael würde ihr nie verzeihen, wenn sie sich an Ashleys Plänen beteiligte.
Warum dachte sie dann über das Angebot ihrer Schwester überhaupt nach? Es ging ihr nicht um Ashley, sie konnte gut für sich selbst sorgen. Und sobald Raphael erfuhr, was Ashley vorhatte, würde er sowieso mit Tess nichts mehr zu tun haben wollen. Deshalb gab es keinen Grund, den Aufenthalt zu verlängern.
„Es tut mir leid.“ Tess war der Appetit vergangen, und sie schob den Teller weg. „Ich will mit deinen Machenschaften nichts zu tun haben.“
„Damit hättest du auch nichts zu tun. Warum auch? Signore di Castelli wird mit mir reden wollen, nicht mit dir. Wahrscheinlich kommt er morgen in die Galerie. Während ich mit ihm verhandle, kannst du am Strand in der Sonne liegen.“
Tess seufzte. „Ashley …“
„Bleib bitte wenigstens bis Montag“, fiel sie ihr ins Wort. „Du würdest mir damit einen großen Gefallen tun. Was hast du denn zu verlieren? Du hast den Flug noch nicht gebucht, und wenn ich nicht früher zurückgekommen wäre, wärst du bis nächste Woche hiergeblieben. Bitte, nur noch dieses eine Wochenende. Danach kannst du zurückkehren in dein langweiliges Leben in Buxton.“
Obwohl Tess ihr Leben nicht für langweilig hielt, gestand sie sich ein,
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