JULIA GOLD Band 32
zur Hölle, dachte Bryn, widerstand jedoch dem Drang, Ben zu nehmen und fortzulaufen. „Natürlich besteht da eine gewisse Familienähnlichkeit.“ Sie zog Ben von Amin fort und legte beschützend die Arme um ihn. „Als Scheich al-Assads Cousin ersten Grades hast du mit ihm viele gemeinsame Merkmale.“
„Ja, Cousin ersten Grades.“ Amins Augen glitzerten wie Eis. „Wie glücklich wir darüber sind.“
„Eigentlich hast du so viel Glück gar nicht verdient.“
„Pass auf, wie du mit mir sprichst“, warnte er und setzte sich. Er streckte seine Beine aus und legte die Hände hinter den Kopf. Sie sah seine goldene Rolex. „Ich nehme an, du hast ihm nie von uns erzählt.“
„Da gibt es nichts zu erzählen“, erwiderte sie scharf. „Es hat nie irgendetwas zwischen uns gegeben.“
„Meine liebe Bryn, wie kannst du so etwas sagen? Wir standen uns einmal so nah.“ Er schürzte die Lippen und zog vielsagend die Augenbrauen hoch. „Sehr, sehr nah.“
„Das stimmt nicht.“
„Immerhin hast du mich in dein Zimmer eingeladen.“
Das war zwar richtig, aber es war nicht so gewesen, wie er jetzt den Anschein erwecken wollte. Mit bebenden Händen griff sie nach Ben. Ihn zu berühren, gab ihr Kraft. „Du weißt, dass ich nur mit dir reden wollte.“
„So? Weiß ich das?“
Ihr wurde übel, als sie merkte, dass dieser Albtraum niemals enden würde. Amin war von Grund auf schlecht, und sie hatte keine Ahnung, wie sie mit ihm fertig werden sollte.
„Ich gehe mit meinem Sohn hinein.“ Sie nahm Bens Hand und drückte sie. Sie hatte Angst um ihn, um sich selbst und um Kahlil. Wenn sie nichts unternahm, würde Amin wieder alles zerstören.
„Darling, du kannst fortlaufen, aber du kannst dich nicht verstecken“, rief Amin in seinem perfekten Englisch hinter ihr her. „Ich bin wieder da, und ich warte. Ich habe Zeit.“
Bryn schob Ben in ihr Schlafzimmer und verschloss die Tür, bevor sie auf den Boden sank und die Hände vor das Gesicht schlug. Ihr war abwechselnd heiß und kalt, und ihr war übel. Bitte, lieber Gott, lass nicht zu, dass er mir dies noch einmal antut …
Bens kleine Hände zogen ihre von ihrem Gesicht herunter. „Mommy?“
Bryn hörte seine Stimme, sah sein Gesicht und zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist alles okay, Baby.“
Aber es war nicht okay. Nichts war okay.
„Sie können dort jetzt nicht hineingehen …“
Bryn stürmte an Rifaat vorbei und öffnete die Tür zu der Zimmerflucht, in der die Büroräume untergebracht waren. Computer, große Monitore, Telefone, Faxgeräte, Aktenschränke, Überwachungskameras – modernste Bürotechnik. Eine völlig andere Welt als in den anderen Teilen des Palasts.
Die beiden Sekretärinnen an den Computern hoben verwirrt die verschleierten Köpfe. Eine dritte Assistentin erschien aus einem weiteren Büroraum. Alle starrten Bryn an.
Es war ihr egal. „Wo ist er?“, fragte sie und ließ ihren Blick über die mit Holz vertäfelten Wände schweifen, den roten Perserteppich und das massive Ölgemälde, das einen feudalen Kriegsherrn bei der Plünderung einer Stadt zeigte, während verängstigte Menschen aus brennenden Häusern flohen.
„Er hat gerade eine Telefonkonferenz“, antwortete Rifaat scharf und stellte sich zwischen sie und die angelehnte Tür.
Rifaats heroisches Einschreiten war unnötig. Kahlil erschien bereits im Türrahmen. Er war westlich gekleidet. Schwarzer Rollkragenpullover, dunkelgraue Hose.
„Was ist hier los?“ Er presste das schnurlose Telefon an die Brust. Seine schwarzen Haare waren zerzaust, und seine tiefe Stimme klang ungeduldig.
„Schönes Gemälde“, stieß sie hervor, wütend auf Amin, Rifaat und Kahlil zusammen. Sie hatte die Politik des Palasts vergessen, die schiere Unmöglichkeit, irgendetwas zu bewerkstelligen – jedenfalls als Frau.
„Du hast eine Konferenzschaltung mit der OPEC unterbrochen, um mit mir über ein Gemälde zu sprechen?“
„Nein.“ Sie holte tief Luft. Ihr Selbstbewusstsein verließ sie plötzlich. „Dein Cousin Amin ist wieder da.“
„Ja, ich weiß. Er hat mir gesagt, dass er dich im Garten gesehen hat.“ Kahlil zog die Augenbrauen zusammen. „Und er hat erzählt, dass du ihm Ben vorgestellt hast. Gibt es irgendein Problem?“
So, wie er es darstellte, klang das Treffen zwischen ihr und Amin ganz freundschaftlich. Er wollte, dass es so war. Amin war immerhin sein Cousin, einer seiner engsten Verwandten. „Nein. Ich war nur nicht sicher, ob du von seiner Rückkehr
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