Julia Gold Band 47
obendrein mehr als genug Geld besaß, konnte er sich über Mangel an weiblichem Interesse sicher nicht beklagen. Polly misstraute attraktiven Männern, weil sie meist eitel waren. Bei Raschid hatte sie jedoch den Eindruck, dass er nur zum Rasieren in den Spiegel blickte …
Die Stewardess brachte Polly das Essen, kurz darauf landete die Maschine und rollte aus. Durch das Fenster erhaschte Polly flüchtige Blicke auf eine Wüstenlandschaft. Polly stand auf. Als Raschid ihr ein schwarzes Kleiderbündel in die Hände drückte, sah sie ihn befremdet an. Ungeduldig nahm er es ihr wieder ab, schüttelte den Stoff aus und streifte ihn Polly über.
„Ich bekomme keine Luft!“, beschwerte sie sich.
„Sei nicht kindisch!“ Raschid zupfte das Gewand zurecht, sodass Polly wieder sehen konnte. Zu ihrer Verblüffung brach Raschid in Gelächter aus. „Du siehst komisch aus, Polly. In dieser aba versinkst du ja buchstäblich.“
Polly raffte den Stoff und folgte Raschid zum Ausgang. Zögernd trat sie auf die Gangway hinaus und ließ den Anblick der in Reih und Glied dastehenden Soldaten und einer kleinen Militärkapelle auf sich wirken. Plötzlich verfing ihr Fuß sich im Saum der aba .
Raschid hörte Pollys Aufschrei und drehte sich blitzschnell zu ihr um. Ehe sie stürzte, hob er sie hoch und schüttelte resigniert den Kopf. „Du bist das tollpatschigste weibliche Wesen, das mir je begegnet ist.“
„Ein Leichenhemd wollte ich eigentlich erst tragen, wenn ich im Sarg liege“, erwiderte sie prompt.
Raschid wurde blass und sagte kein Wort.
Polly war betroffen. Kam er über Berahs Tod denn nie hinweg? Spukte seine erste Frau ihm immer noch im Kopf herum?
„Setz mich bitte ab“, forderte Polly ihn steif auf.
„Es sind nur wenige Schritte bis zum Wagen.“ Raschid verfrachtete Polly wie ein Paket in die wartende Limousine. Mit gemischten Gefühlen blickte sie zu der mächtigen, sich nur wenige Hundert Meter entfernt erhebenden grauen Festung hinüber, deren hohe Mauern sich endlos hinzuziehen schienen.
„Wo ist denn das Flughafengebäude?“, fragte Polly.
„Der Einfachheit halber wurde hier ein Jetlandeplatz angelegt. Der Flughafen befindet sich auf der anderen Seite von Jumani.“
„Ist das die Hauptstadt?“
„Ich finde es überwältigend, wie gründlich du dich auf deine künftige Heimat vorbereitet hast“, spottete Raschid. „Jumani liegt zehn Kilometer von hier entfernt.“
Beschämt wandte Polly sich ab und ließ den Blick über die Wüste schweifen, deren Sanddünen sich nach allen anderen Seiten einförmig bis zum Horizont erstreckten. Die Einöde und Abgeschiedenheit dieser Landschaft wirkten trostlos auf Polly, die an Felder, Wiesen und Wälder gewöhnt war.
Die Limousine fuhr durch das Tor in einen weitläufigen gepflasterten Hof. Raschids Tür wurde eiligst von einem kleinen Mann geöffnet, der seinen Gebieter nervös gestikulierend mit einem arabischen Wortschwall empfing. Raschid runzelte die Stirn und schritt davon.
Nach wenigen Metern blieb er jedoch stehen, als hätte er etwas vergessen. Er kam zu Polly zurück und half ihr beim Kampf mit der aba , die sich um ihre Beine gewickelt hatte und sie beim Aussteigen behinderte.
„Es gibt elegantere Arten auszusteigen“, bemerkte Raschid trocken.
Er führte Polly durch die Menschenmenge, die ihnen aus einem von einer Kuppel überdachten, verandaähnlichen Vorbau entgegenströmte. Polly wurde neugierig gemustert. Jetzt war sie sogar froh, von Kopf bis Fuß verhüllt zu sein.
„Mein Vater wünscht, uns sofort zu sehen“, erklärte Raschid. „Ich möchte dich bitten zu schweigen, damit du mich nicht in Verlegenheit bringst. In Situationen, mit denen du nicht vertraut bist, entwickelst du möglicherweise nicht das erforderliche Gespür für das, was sich gehört.“
Polly wäre am liebsten aufgebraust, aber sie hielt sich zurück. Raschid trat auf eine große kunstvoll geschnitzte Doppeltür zu, die von furchterregend bewaffneten, rechts und links postierten Wachen aufgestoßen wurde. Raschid ging voran. Polly folgte ihm beklommen und beobachtete, wie er niederkniete und mit der Stirn den Teppich berührte.
Für seine siebzig Jahre sah der graubärtige alte Herr, der am Ende des Raumes auf einem flachen Podium saß, erstaunlich kräftig und gesund aus. Polly kniete sich neben Raschid auf den Teppich und wartete. Der König gab Raschid ein Zeichen aufzustehen, dann schnippte er mit den Fingern und sagte etwas auf Arabisch.
Polly
Weitere Kostenlose Bücher