Julia Gold Band 47
Raschid zu und begrüßte ihn unterwürfig. Polly blickte starr zu Boden, als sie merkte, dass Raschid keine Anstalten machte, sich um sie zu kümmern.
Einer der Beduinen stieg ab, nahm ihre Reisetasche und schnallte sie auf ein Gepäckkamel, während ein zweiter mit einem anderen Tier herankam und es mit einer Stockbewegung zum Niederknien brachte. Auf seinem Rücken war eine mit bunt gewebtem Tuch ausgelegte Korbsänfte befestigt.
Endlich ritt Raschid zu Polly herüber und stieg vom Pferd.
„Hör mal, ich hatte ja nicht mit einem roten Teppich gerechnet, aber …“ Polly sprach nicht weiter, weil Raschid sie wortlos aufhob und in die Sänfte setzte. Empört bemerkte sie, dass die Beduinen sich verstohlen zugrinsten und es völlig in Ordnung fanden, wie Raschid mit seiner Frau umsprang.
Ihr Kamel erhob sich schwerfällig, und die Gruppe setzte sich in Bewegung. Bei dem einförmigen Schaukelgang des Tieres wurde Polly schwindlig, und es dauerte eine Weile, bis sie erkannte, dass sie nicht auf den Boden blicken durfte.
Als sie einen Dünenkamm überquerten, hatten sie unvermittelt das Lager vor sich. Es bestand aus etwa zwanzig Zelten und mehreren Feuerstellen, von denen Rauchschwaden aufstiegen. Rasch brach die Dunkelheit herein. Polly hatte keine Ahnung, warum Raschid sie hierher gebracht hatte, war jedoch dankbar, dass die Strapazen vorüber waren.
Als Polly steif von der Sänfte kletterte, verbeugten sich zwei Männer vor ihr, die sie vom Palast her kannte. Raschid führte sie in das nächste Zelt und um eine perlenbestickte Ledertrennwand herum. Auf einem Feldbett lagen Decken gestapelt. Sofort setzte sich Polly, weil die Beine unter ihr nachzugeben drohten.
„Zieh die aba aus“, befahl Raschid. „Hier verhüllen nur alte Frauen das Gesicht.“
Erleichtert folgte Polly der Anweisung, weil ihr das Haar am Kopf klebte. Obwohl Raschid ein finsteres Gesicht machte und sich in Schweigen hüllte, erfüllte sie erwartungsvolle Erregung. „So sag doch etwas“, bat Polly schließlich.
Raschid wandte sich zum Gehen. „Bleib hier im Zelt, und komm mir nicht unter die Augen“, bestimmte er eisig.
Polly stand auf und verstellte ihm den Weg. „Hör dir doch wenigstens an, was ich zu sagen habe.“
„Erzähl’s dem Wind. Vielleicht gibt er dir eine Antwort“, erwiderte Raschid verächtlich. „Du wirst es bitter bereuen, mich hintergangen zu haben.“ Damit ließ er Polly allein.
Beunruhigt blickte sie sich um. Es wunderte sie nicht, dass in dem Zelt nur das Nötigste vorhanden war. In einer Ecke entdeckte sie ein Funkgerät und zwei Öllampen. Hinter der Trennwand befanden sich Blechgefäße, Säcke und ein zweiter Ausgang. Polly wusste schon, dass der Vordereingang eines Zeltes traditionsgemäß den Männern vorbehalten war, die sich an der Feuerstelle zum Kaffeetrinken trafen. Von draußen strömte verlockender Essensduft herein.
Rasch überdachte sie ihre Lage. Raschid konnte ihre Anwesenheit auf Dauer nicht ignorieren, obwohl er das vorzuhaben schien. Die teuerste Braut des Landes hatte ihm am wenigsten gegeben.
Von Beginn ihrer Ehe an hatte sie sich gegen ihn gestellt. Vergeblich hatte er versucht, eine gefügige Frau aus ihr zu machen. Jetzt hätte Polly alles getan, wenn er ihr nur verzieh. Aber Raschid war unbeugsam und hatte seine Prinzipien.
Mahmoud brachte Polly ein würziges, aus Reis und Fleisch bestehendes Eintopfgericht und einen Becher heiße Milch. Hungrig aß sie. Anschließend erschien der Mann mit einer Schüssel Wasser. Polly wusch sich, so gut sie konnte, dann kleidete sie sich wieder an und blickte nachdenklich auf ihren spannenden Rockbund. Ihre Mutter hatte recht, musste Polly sich eingestehen. Sie hatte tatsächlich zugenommen.
Ein Schatten näherte sich. Unsicher blickte Polly auf.
„Geh schlafen.“ Raschid begann, sich auszuziehen. „Wir brechen das Lager im Morgengrauen ab.“
„Können wir jetzt miteinander reden?“, ließ sie sich nicht beirren.
Da Raschids Gesicht im Schatten lag, konnte sie seine Züge nicht erkennen. „Ich habe nicht das geringste Bedürfnis nach einer Aussprache.“
Polly gab nicht auf. Sie nahm ein Nachthemd aus der Reisetasche und erklärte ohne Übergang: „Ich habe geweint, und Chris hat mich getröstet. Dann hat er mich geküsst, aber ich habe den Kuss nicht erwidert.“
Als Raschid mit einer Verwünschung reagierte, blieb Polly nichts anderes übrig, als zu schweigen, weil sie es wegen der dünnen Zeltwände nicht auf eine
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