Julia Gold Band 47
sie, ohne sie überhaupt angehört zu haben. Ehe sie sich von dem Schock erholt hatte, bestieg er den Wagen und schlug die Tür zu.
Polly blickte der davonfahrenden Limousine wie erstarrt nach, als Chris zu ihr trat. Raschid ist nicht einmal wütend, dachte sie benommen. Vermutlich hatte er endlich den ersehnten Vorwand gefunden, sich von ihr zu trennen.
„Polly, ich weiß gar nicht, wie ich mich bei dir entschuldigen soll“, hörte sie Chris wie aus weiter Ferne sagen. „Seit mir bei deiner Hochzeit bewusst wurde, dass du kein Kind mehr bist, hatte ich irgendwie das Gefühl, an meinem Glück vorbeigegangen zu sein. Aber das hatte ich wirklich nicht beabsichtigt. Ich wollte dich nur tröstend in die Arme nehmen … Aber du bist so eine wunderschöne Frau, und da habe ich einen kurzen Moment meinen Kopf verloren.“
Polly hatte Chris kaum zugehört. „Schon gut“, flüsterte sie verstört. Hatte Raschid denn überhaupt kein Vertrauen zu ihr?
„Was wirst du jetzt tun?“, drängte Chris. „Ich fühle mich schrecklich. Das Ganze ist meine Schuld.“
Polly zuckte die Schultern. „Vergiss es. Ich fliege in wenigen Tagen sowieso nach Dharein.“
Chris seufzte. „Wenn ich irgendetwas für dich tun kann …“
„Nichts.“
„Und wie willst du den anderen Raschids Abreise erklären?“
„Ich glaube nicht, dass er schon im Haus war, und die Limousine stand außer Sichtweite.“
Raschid hat mir nachspioniert, dachte Polly. Er hatte sein Kommen nicht angekündigt und war am Hintereingang vorgefahren. Ein völlig harmloser Kuss war der Auslöser für die Scheidung …
„Bitte bleiben Sie noch einen Moment sitzen“, verkündete die Stewardess der Verkehrsmaschine, während Polly schon versuchte, sich die aba überzustreifen, ohne dabei andere Fluggäste anzustoßen.
„Ist diese Dame … Ihre Hoheit?“
Polly hatte den Sieg über die aba davongetragen und erkannte Seif und Raoul hinter der Stewardess. Wo sind die beiden Leibwächter plötzlich hergekommen? fragte Polly sich. Raschid hatte nicht versucht, sie von der Rückkehr abzuhalten, und Polly klammerte sich an diesen Strohhalm.
Sie hatte im Palast angerufen, doch Medir hatte ihr mitgeteilt, Raschid sei nicht erreichbar. Erst nach dem dritten Telefonat hatte der Sekretär ihr verraten, Prinz Raschid befände sich in der Wüste am Jebel Kaddish. Daraufhin hatte Polly nur ihre Ankunftszeit auf dem Flughafen von Jumani genannt.
Im Freien schlug Polly die glühende Mittagshitze entgegen. „Wohin bringen Sie mich?“
„Zum Flugzeug.
„Aber wir sind doch gerade ausgestiegen.“ Die Leibwächter hüllten sich in Schweigen.
Polly wurde immer unruhiger. Die beiden Männer führten sie um die Flughafengebäude herum zu einer merkwürdigen kleinen Maschine. „Ich möchte zum Palast“, verlangte Polly.
„Prinzessin fliegen zu Prinz Raschid.“ Seif bedeutete ihr, den leeren Frachtraum der kleinen Maschine zu besteigen. „Kurzer Flug. Sofort aufbrechen …“, setzte der Mann hinzu.
Polly ging mit ihrer Reisetasche an Bord. Wenn ihre Wünsche sich nicht mit Raschids deckten, stellten die Leibwächter sich taub. Der Pilot wies Polly eine Sitzbank mit einem Kissen zu. Die beiden Leibwächter blieben auf dem Rollfeld zurück.
Polly hatte keine Ahnung, warum sie zu Raschid in die Wüste gebracht wurde, aber sie wappnete sich. Vor ihr lag ein Kampf, von dem ihr Lebensglück abhing.
8. KAPITEL
Nach einem scheinbar endlos langen Flug landete die Maschine. Erleichtert trat Polly ins Freie. Ein Stück von ihr entfernt erhob sich ein mächtiger schwarzer Felsvorsprung, dessen Umrisse sich wie abgebrochene Zähne zum Himmel reckten.
Polly blickte sich um. Der Jebel Kaddish war ein trostloses Wahrzeichen, das von einer endlosen, öden Dünenlandschaft umgeben wurde. Die Farbe des Sandes änderte sich und wechselte je nach Lichteinfall von einem blendenden Weiß zu Ocker.
Unvermittelt rief der Pilot etwas, und Polly fuhr herum. Die Hand schützend vor den Augen, sah sie die Beduinen, die auf Kamelen mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf sie zuritten. Die kleine Karawane wirbelte so viel Staub auf, dass Polly den Reiter auf dem schwarzen Hengst in ihrer Mitte fast nicht erkannt hätte. Beim Näherkommen fächerte die Gruppe aus und umringte die Maschine.
Nervös tänzelte Marzouk, der die Stimmung seines Herrn zu spüren schien. Raschid warf Polly einen grimmigen Blick zu, die das Gefühl hatte, in ihrer aba ersticken zu müssen. Jetzt eilte der Pilot auf
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