Julia Gold Band 47
Vielleicht hätte er sie nicht mitten in der Nacht anrufen sollen. Doch er war plötzlich unsicher geworden. Hatte sie überhaupt eingewilligt? Er konnte sich nicht genau daran erinnern. Und wenn sie jetzt wankelmütig würde? Aber warum sollte sie? Es war doch nur für ein Jahr. Und sie bekam ihr Gewächshaus, dazu eine Menge Geld. Danach würden sie sich in gegenseitigem Einverständnis scheiden lassen und weiter zusammenarbeiten. Ihr gutes Arbeitsverhältnis wollte er auf keinen Fall aufs Spiel setzen.
Obwohl er Emily geraten hatte zu schlafen, ging er selbst nicht ins Bett. Noch nie hatte die Sorge um ein Geschäft Scheich Ben Ali nachts wach gehalten. Er konnte Sorgen einfach beiseiteschieben und friedlich schlafen. In einem Flugzeugsessel genauso gut wie in einem Wüstenzelt oder einem komfortablen Hotelbett. Aber heute Nacht wanderte er aus unerklärlichen Gründen in seinem Wohnzimmer auf und ab und beobachtete die Morgendämmerung über der Bucht von San Francisco. Dann zog er sich um und fuhr ins Büro.
Am nächsten Morgen machte Emily sich im Internet kundig, was bei einer Hochzeit alles zu bedenken ist. Sie erstellte eine Liste mit Fragen und ging damit in Bens Büro. Überrascht stellte sie fest, dass er nicht über seine Arbeit gebeugt saß, sondern am Fenster stand und hinausschaute. Seine Augen glänzten dunkler als gewöhnlich, und seine Krawatte saß schief. Emily unterdrückte das Verlangen, ihm durch das zerzauste Haar zu fahren. Sie sah schnell beiseite und setzte sich auf den Stuhl gegenüber dem Schreibtisch.
Knapp und sachlich stellte sie ihre Fragen, als wäre die Hochzeit eines von vielen Projekten, an denen sie gerade arbeiteten, und heute ein ganz normaler Arbeitstag. Doch sie wusste, dass eine neue Ära angebrochen war, eine beängstigende neue Zeit, in der die alten Regeln nicht mehr galten.
„Wer kommt auf die Gästeliste?“, fragte sie mit unbewegtem Gesicht.
Er rieb sich die Stirn. „Schauen Sie in meinem Adressbuch unter Familie nach, und laden Sie alle ein. Ihre Familie natürlich auch. Ihre und meine Familie. Das sollte reichen.“
Sie sah auf ihre eiskalten Hände. Unmöglich konnte sie ihre Familie zu dieser Hochzeit bitten. Wie sollte sie das abgekartete Spiel erklären? „Kirchliche Trauung?“, fragte sie.
„Ja. Während meiner Zeit im College bin ich zum christlichen Glauben übergetreten. Meine Familie ist moslemisch. Aber sie erwartet keine traditionelle Feier. Sie ist froh, dass ich überhaupt heirate.“
„Kleidung: festlich oder leger?“
„Festlich.“
„Essen?“
„Keine Vorschläge meinerseits.“
„Und der Kostenrahmen?“
Er zuckte die Schultern.
Sie stand auf. Keiner von beiden hatte die Hochzeitsreise angesprochen. „Wenn ich mehr Informationen habe, wende ich mich wieder an Sie.“
„Gut. Und vergessen Sie nicht, die Hochzeit hat jetzt höchste Priorität. Erst wenn wir die hinter uns haben, können wir uns wieder wichtigeren Aufgaben widmen.“
Sie kannte Bens Einstellung. Und trotzdem schmerzte es, dass er die Feier als notwendige, aber letztlich unwichtige Angelegenheit behandelte. Denn diese Hochzeit würde wahrscheinlich ihre einzige bleiben. Sie konnte sich nicht vorstellen, noch einmal einen Mann so zu lieben wie Ben. Aber sie wollte sich nicht den Luxus verletzter Gefühle leisten. Deshalb drückte sie das Kreuz durch und ging erhobenen Hauptes in ihr Büro.
Doch an ungestörte Arbeit war nicht zu denken. Ständig steckte jemand den Kopf durch die Tür, das Telefon klingelte fast pausenlos, und alle Abteilungsleiter erfanden Gründe, bei ihr vorbeizukommen. Offenbar hatte sich die Neuigkeit herumgesprochen, und Emily war klar, was die Leute zu ihr trieb: die Neugier auf den Verlobungsring.
Also zeigte sie geduldig ihre linke Hand, ließ die Größe und den Glanz der Steine bewundern und nahm gelassen die Gratulationen entgegen. Sie war davon überzeugt, dass nicht der wertvolle Diamant und die schöne Verarbeitung die Kolleginnen und Kollegen aus der Fassung brachte, sondern Unglaube. Unglaube darüber, dass Scheich Ben Ali seine tüchtige Assistentin heiraten wollte und nicht eine der schillernden Schönheiten aus den gehobenen Kreisen, mit denen er sonst verkehrte.
Ben hatte sich in seinem Büro vergraben, Emily wusste nicht, womit er sich beschäftigte. Aber sie sah verschiedene Herren in grauen Anzügen bei ihm ein- und ausgehen. Um zwölf Uhr rief er sie über die Gegensprechanlage zu sich. Noch einmal versuchte sie,
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