Julia Gold Band 47
wann er vor der Kirche sein sollte. Im Hintergrund hörte sie Musik und Lachen. „Was ist denn da los?“, wollte sie wissen.
„Meine Familie feiert, weil wir morgen heiraten. Das ist so üblich bei uns“, erklärte er.
Mit einem Mal fühlte sie sich schrecklich einsam und sehnte sich nach ihren Eltern und Geschwistern.
„Alles in Ordnung, Emily?“
Sie schwieg eine Weile. „Sind Sie sicher, dass Sie das morgen tun wollen? Ich meine, mich heiraten?“, fragte sie und hoffte, dass er Nein sagen würde.
„Natürlich! Und wie ist es mit dir? Willst du mich noch heiraten?“
„Wieso duzen Sie mich auf einmal?“, entfuhr es ihr.
Ben brach in schallendes Lachen aus. „Na, weil morgen unser Hochzeitstag ist. Irgendwann müssen wir doch damit anfangen. Oder sollen wir bis zur Hochzeitsnacht warten?“
Emily schoss das Blut ins Gesicht. Warum erinnerte er sie daran? Was war in ihn gefahren? „Okay“, sagte sie seufzend.
Ben merkte, dass er ein wenig zu weit vorgeprescht war. „Es ist alles ein bisschen aufregend, findest du nicht? Genieß deinen letzten Abend als Junggesellin. Und schlaf gut.“
Erst als sie aufgelegt hatte, merkte sie, dass sie Bens Frage, ob sie ihn noch heiraten wolle, nicht beantwortet hatte. Wenn sie sich jetzt davonstahl, würde sie nicht einmal wortbrüchig werden.
Doch am nächsten Morgen tat sie alles, was sich für eine Braut gehörte. Sie nahm ein duftendes Schaumbad und setzte dann ihre neuen Kontaktlinsen ein. Sie ließ sich von ihren Freundinnen zum Friseur und in den Schönheitssalon schleppen, beim Anziehen des Brautkleides helfen und zu der kleinen altmodischen Kirche fahren. Nun wartete sie in einem kleinen Seitenraum auf den Beginn der Zeremonie. Heute konnte sie sich hinter nichts und niemandem verstecken. Heute stand sie im Mittelpunkt des Geschehens. Heute heiratete sie.
Peggy kam von ihrem Erkundigungsgang zurück. „Die Gäste haben sich versammelt. Ich habe auch mit deinem Bräutigam gesprochen. Sagenhaft!“
„Was meinst du?“, fragte Emily und zupfte an ihrem Schleier.
„Na, wie er aussieht! Einfach atemberaubend!“
„Trägt er …“
„Er trägt einen Frack und dazu die traditionelle Kopfbedeckung eines Scheichs. Der Brautführer auch. Ich vermute, es ist sein Bruder. Sein Vater trägt einen Burnus. Gott, ist das aufregend! Es kommt mir vor wie in einem Märchen.“
Emily fühlte sich eher wie in einem bösen Traum.
„Dein zukünftiger Gatte wirkt übrigens ziemlich nervös. Er hat mich mehrere Male gefragt, ob du wirklich schon da bist. Als ob er Angst hätte, dass du deine eigene Hochzeit versäumst.“
Emily lachte gequält. Bald würde Bud, Peggys Mann, sie in die Kirche führen. Aber sie fühlte sich noch nicht bereit. Sie würde sich nie bereit fühlen. Alles war falsch an dieser Hochzeit. Ben empfand das wohl auch so und war deshalb nervös.
Es klopfte leise an der Tür. Herein kam Bens Mutter in einem langen blauen Seidenkleid. Sie umarmte Emily und übereichte ihr eine Diamantenkette. „Du kannst sie auch als Diadem im Haar tragen“, sagte sie. „Es ist ein Familienerbstück und wird nur zu Hochzeiten und hohen Feiertagen getragen. Irgendwann wirst du es an deine Schwiegertochter weitergeben.“
Emily war überwältigt von so viel Großzügigkeit. Ihr erster Impuls war, das Geschenk zurückzuweisen. Aber damit würde sie Bens Mutter sehr verletzen. Also ließ sie sich den Schmuck anlegen und gab das stumme Versprechen, ihn später an Ben zurückzugeben. Als sie sich bedankte, umarmte ihre künftige Schwiegermutter sie noch einmal. „Willkommen in unserer Familie, Emily. Viel Glück!“ Da wusste Emily, dass es kein Zurück mehr gab.
Mit Bud und Peggy an ihrer Seite schaffte sie es bis zum Eingang der blumengeschmückten Kirche. Dort bedeckte die Freundin das Gesicht der Braut mit dem Schleier. Orgelmusik brauste auf. Bud hakte sie unter, und gemeinsam schritten sie durch den Mittelgang zum Altar.
Wie sehr hatte Emily sich vor diesem Spießrutenlauf gefürchtet! An all den vielen Sitzreihen voller Menschen musste sie vorbeimarschieren, ohne zu stolpern. Sie fühlte die Blick auf sich gerichtet. Sie hörte flüsternde Stimmen.
„Ist sie nicht hübsch?“
„Wunderschön!“
„Eine hinreißende Braut!“
„So strahlend!“
Und mit einem Mal spürte Emily, dass die Hochzeitsgäste recht hatten. Denn heute, an seinem Hochzeitstag, hatte das hässliche Entlein sich in einen Schwan verwandelt. Sie war nicht mehr das fleißige
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