Julia Gold Band 47
Lieschen im Hintergrund. Heute war sie die Königin, oder vielmehr die Prinzessin. Der Star dieser Feier. Selbstbewusst und kerzengerade, den Blick nach vorn gerichtet, genoss sie es, schön zu sein und zu strahlen. Diesen Moment würde sie für den Rest ihres Lebens nicht vergessen.
Ben stand steif mit angewinkelten Armen vor dem Altar und beobachtete, wie Emily ihm entgegenschritt. Er fühlte sich wie betäubt. Ihr Gesicht konnte er durch den Schleier kaum erkennen, umso weniger aber verbarg das Spitzenmieder, das sich um Brust und Taille schmiegte. Durch die Musik und das Gemurmel der Hochzeitsgäste hindurch lauschte er dem Rascheln des weiten Organzarockes und atmete Rosenduft ein. Heute war sein Hochzeitstag. Er war fast fünfunddreißig Jahre alt, und er heiratete zum ersten und zum letzen Mal.
Was immer auch geschehen würde, noch einmal wollte er das nicht durchmachen. Die Tür zu seiner Vergangenheit war zugeschlagen, und vor ihm lag ein neues unbekanntes Leben. Diese Frau, diese Fremde würde ihn begleiten. Obwohl er jetzt nur Augen für sie hatte, spürte er, wie sehr seine Familie, sein Vater und seine Mutter, seine Brüder und Schwestern, seine Nichten und Neffen damit einverstanden waren.
Eine Woge voller Kraft und Freude durchströmte ihn. Er hatte die Tradition, in der er erzogen worden war, immer geachtet. Nun begriff er ihren Sinn. Er war Teil eines Festzuges. Mit dieser Hochzeit erfüllt sich seine Bestimmung als Mensch, als Sohn, als Mann.
Emily stand jetzt neben ihm vor dem Altar. Der Pfarrer fragte Ben, ob er sie lieben, achten und ehren wolle. Er schaute sie an. Sie erwiderte den Blick, fragend, erwartungsvoll. Alle Anwesenden hielten den Atem an. Ja, die ganze Welt wartete auf Scheich Ben Alis Antwort. Und immer noch schwieg er. Plötzlich schien es ihm, als verdunkelte sich der Raum. Er hatte nur noch Augen für Emily. Sie und er waren die einzigen Menschen auf der Welt. Er atmete tief ein und sagte:
„Ja, ich will!“
Nun war Emily an der Reihe zu versprechen, ihn zu lieben, zu achten und zu ehren. Bis dass der Tod sie schied. Er wusste, dass sie es ebenso wenig ernst meinte wie er, aber sie musste wohl doch etwas von dem schauspielerischen Talent ihrer Familie geerbt haben, denn ihre Stimme klang aufrichtig und vertrauensvoll. Diesem Vertrauen wollte er sich würdig erweisen.
Als es soweit war, die Braut zu küssen, hoben die Brautjungfern den Schleier. Wie benommen betrachtete er Emilys Gesicht. Wie hatte sie all die Jahre ihre Schönheit vor ihm versteckt halten können? Wieso hatte er sie nicht früher hinter ihrem bescheidenen Auftreten, ihren zu großen Kostümen, ihrer Brille entdeckt? Sie war nicht nur schön, sie strahlte unschuldige Sinnlichkeit aus, die darauf wartete, geweckt zu werden.
Nun hob sie das Gesicht und schloss die Augen, gefasst auf einen flüchtigen Kuss. Er hatte vor, ihre Lippen nur zu streifen, doch irgendetwas zwang ihn, seine guten Absichten zu vergessen. Diese Frau, die vor ihm stand, war nicht mehr seine langjährige treue Assistentin Emily Claybourne. Sie war seine Ehefrau. Es drängte ihn, das vor aller Welt zu beweisen. Er beugte sich über sie und küsste sie derart inbrünstig und verlangend, dass er selbst ganz überrascht war. Und sie erst recht!
Ihr Mund, erst zusammengekniffen und passiv, öffnete sich unter dem Druck seiner Lippen. Er konnte fühlen, wie ein Schauer durch ihren Körper lief und ihr Herz ebenso heftig wie seines zu pochen begann. Wenn sie nicht in der Kirche vor mehr als hundert Leuten gestanden hätten, hätte er sie noch einmal geküsst. Als er sich von ihr löste, schlug sie die Augen auf und taumelte ein wenig. Er nahm ihren Arm und hielt sie fest. Unter dem Jubel der Gäste verließen sie lächelnd Hand in Hand die Kirche.
Draußen warteten die Fotografen, um Aufnahmen vom Brautpaar zu machen, und dann ging es zum Empfang in ein nahe gelegenes hübsches Hotel. Nachdem Ben Emily allen Familienmitgliedern vorgestellt hatte, verlor er sie aus den Augen. Seine Mutter und seine Schwestern hatten sie beiseite genommen, und nun fand er sie nirgends mehr. Er nutzte die Zeit, um sich mit Emilys Freundinnen aus dem Gartenverein zu unterhalten und ihnen dafür zu danken, dass sie die Kirche so wunderbar geschmückt hatten.
„Wir werden Emily schrecklich vermissen“, sagte Peggy und griff nach einem Taschentuch.
„Aber wir leben doch in der gleichen Stadt“, tröstete Ben. „Sie können uns doch jederzeit besuchen. Ich
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