JULIA HOCHZEITSBAND Band 19
paar Sekunden und pfiff dann zurück.
Carrie schloss die Augen, lehnte sich zurück und drehte das Gesicht zur Sonne. Ein paar Minuten lang genoss sie die Entspannung, bis sie hörte, wie auf dem Wanderweg die herabgefallenen Zweige knackten. Erschrocken straffte sie den Rücken und riss die Augen auf.
Wie aus dem Nichts stand der große Mann plötzlich vor ihr: ein Einheimischer, dessen langes weißes Haar ihm weit über die Schultern fiel. Er trug ausgeblichene Shorts und ein T-Shirt mit einem Angelhaken als Aufdruck. An seinen nackten Füßen klebte der Dreck.
Die Kiefernzweige und kleinen Steinchen unter der Fußsohle schienen ihm nichts auszumachen. Neben ihm hockte ein weißhaariger, zotteliger Mischlingshund, dem die Zunge hechelnd aus der Schnauze hing.
Carrie war immer noch erschrocken, weil die Erscheinung sie aus der Ruhe gerissen hatte. Außerdem war sie das Leben in Los Angeles gewohnt, und dort kannte sie niemanden, der so herumlief. Sofort sprang sie auf, wollte schreiend davonrennen oder sich wenigstens nach Kräften verteidigen.
Ihr Blick schweifte den Berg hinauf. Kurt war bereits außer Sicht. Das dichte Gebüsch hatte ihn verschluckt.
„Aloha“, grüßte der Mann. Seine Stimme klang so tief, als gehörte sie gar nicht zu ihm. Es war, als spräche gar nicht er, sondern eine Stimme aus einer anderen Welt, die sich diesen Mann als Medium ausgesucht hatte. „Schöner Tag, nicht wahr?“
„S… sehr schön.“ Carrie brauchte ein paar Sekunden, bis sie die Sprache wiedergefunden hatte. Sie ließ den Blick zwischen dem Hund und dem Mann hin und her schweifen. „Ich … ich warte auf meinen Verlobten. Er … er ist nur kurz weggegangen.“
In Wahrheit hatte sie keine Ahnung, wo Kurt sich in diesem Moment aufhielt. Hoffentlich noch in Rufweite, dachte sie verzweifelt.
„Ihr Verlobter.“
Carrie nickte. Der Mann rührte sich nicht von der Stelle. Sie trat einen Schritt zurück und stellte fest, dass es keine Möglichkeit gab, irgendwie auszuweichen. Wenn sie sich noch weiter rückwärts bewegte, lief sie Gefahr, den steilen Abhang hinunterzustürzen. „Wir heiraten am Samstag.“
„Glückwunsch.“ Der Mann musterte sie eindringlich. Viel zu eindringlich. Und mit ernster Miene. Die ganze Zeit über sagte er kein einziges Wort.
Carrie fühlte sich zutiefst unbehaglich. Es kam ihr vor, als könnte der Mann noch den verborgensten Winkel ihres Herzens ausforschen. Jetzt schloss er die Augen, hob die Hände und begann zu singen. Er sang mit einer Stimme, die aus den Tiefen der Erde zu kommen schien, hoch über die Wipfel der Bäume schwebte und bis ins Tal hinunter drang.
„He kau auane’i i ka lae ’a’a.“
Carrie rann ein Schauder über die Haut. Der Mann ließ die Hände wieder sinken, öffnete die Augen und lächelte, ohne sich zu erklären.
„Haben Sie einen Segen gesprochen?“
Rainbow Roberts hatte einen Kahuna engagiert, um eine traditionell hawaiianische Hochzeitszeremonie zu zelebrieren. Oleo hatte zugesichert, dass alles perfekt werden würde.
Der Mann schüttelte den Kopf. „Es war ein altes hawaiianisches Sprichwort. Sei wachsam, sonst wird dein Kanu auf dem Felsen stranden, heißt es sinngemäß. Man wird stranden, und zwar in letzter Sekunde, wenn niemand mehr damit rechnet.“
Er bückte sich und kraulte den Hund hinter dem Ohr. Der Hund hechelte und schaute sein Herrchen bewundernd an.
Carrie war erleichtert, als der Mann den Blick wieder auf den Wanderweg richtete und sagte: „Ich sollte jetzt besser gehen.“
Seine Worte hatten sie immer noch in den Bann geschlagen. Sie nickte nur flüchtig, als er sich verabschiedete.
„Aloha“, meinte sie und schaute ihm nach, als er sich wieder auf den Weg machte. Mit wackligen Knien ließ sie sich wieder auf den Felsen sinken.
Sei wachsam, sonst wird dein Kanu auf dem Fel sen stranden.
Sei wachsam.
Felsen.
Was war damit gemeint? Das Leben? Und das Kanu stand für die Hochzeit?
Sollte das eine buchstäbliche Warnung sein?
Oder wollte er uns warnen, zum Schluss der Ze remonie nicht das Auslegerboot mit den Fackeln zu besteigen?
Oder meint er, dass wir besser gar nicht heiraten sollten?
Carrie starrte noch vierzig Minuten lang auf ihre Uhr, bis sie Kurt wieder den Weg hinunterkommen sah. Anstatt ihn mit einem Kuss zu begrüßen, bestürmte sie ihn mit Fragen.
„Hast du den großen einheimischen Mann gesehen?“
„Nein. Ich habe niemanden gesehen.“ Kurt wischte sich die Stirn mit dem Handrücken ab. „Die
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