JULIA HOCHZEITSBAND Band 20
kommen dürfen. Denn nun prallten Fantasie und Wirklichkeit aufeinander. Was war Traum, was Wirklichkeit?
Nick hob den Kopf und wich zurück. „Was tun wir hier eigentlich?“ Er blickte um sich und strich sich mit einer Hand über das Gesicht. „Wir sind an einem öffentlichen Ort. Was haben wir uns bloß dabei gedacht?“
„Wir wollten doch nicht denken“, rief sie ihm in Erinnerung.
Er rollte sich auf die Seite. „Habe ich dir wehgetan?“
„Wie kommst du denn darauf?“ Er hatte sie kaum berührt, ganz gewiss nicht auf die Weise, wie sie es sich ersehnte. Ein so großes Opfer konnte er wohl doch nicht für seinen Freund erbringen.
Er strich mit einer Hand über ihren Körper. „Du bist so … so …“
„Dünn?“, warf sie ein. Rory neckte sie oft damit, dass sie ein Knochengerüst war. Wie viel sie auch aß, sie nahm einfach nicht zu.
„Nein. Du bist zierlich.“ Seine hellen Augen glänzten im schwachen Licht, das durch die dichte dunkle Wolkendecke drang. „Du bist wunderschön.“
Ihr Herz raste. Diesmal akzeptierte sie sein Kompliment als aufrichtig. So begierig, wie er sie ansah, fühlte sie sich ganz gewiss schön. „Warum hast du dann aufgehört?“
Er machte eine ausladende Handbewegung. „Weil hier jederzeit wer vorbeikommen könnte. Ich habe sogar da drüben am Waldrand etwas gesehen. Ein Licht oder so.“
Colleen folgte seinem Blick. „Das sind Glühwürmchen. Normalerweise kann man sie am Tag nicht sehen. Aber es ist so bewölkt.“ Sie beobachtete die tanzenden Leuchtpunkte und seufzte tief.
„Was ist? Hast du Angst vor dem Sturm?“ Nick heftete den Blick auf ihr Gesicht. Die Glühwürmchen waren offensichtlich vergessen.
Wie er mich vergessen wird, sobald er bekommen hat, was er will … „Ich habe keine Angst vor dem Sturm“, versicherte sie. Trotz der tiefen schweren Regenwolken war bisher kein Tropfen gefallen. „Weißt du, ich bin wie diese Glühwürmchen“, sinnierte sie.
Mit gerunzelter Stirn versuchte er zu begreifen, wovon sie sprach.
„So, wie sie tagsüber nicht zu sehen sind, sieht mich auch niemand. Nur dass mich nicht einmal nachts jemand sieht.“
„Das glaube ich nicht.“
„Ich belüge dich nicht.“ Im Gegensatz zu dir.
„Dann belügst du dich selbst. Weil dich niemand ignorieren könnte.“
Und doch hatte er es getan. Jahrelang. Sie wollte ihn gerade darauf hinweisen, da küsste er sie heiß und hungrig. „Du leuchtest ständig. Ich kann mich gar nicht satt an dir sehen.“
Aber sie wollte mehr von ihm als Verlangen. Sie wollte Liebe. Und deshalb sprang sie auf und lief davon. Doch dann gewann ihre lang unterdrückte Impulsivität die Oberhand, und sie rief ihm über die Schulter zu: „Mal sehen, ob du mich finden kannst!“
Nick konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal richtig Verstecken gespielt hatte. Die Zwillinge baten ihn oft darum, doch er musste sie nie suchen. Sie wurden immer des Wartens müde und krochen von selbst aus ihren Schlupfwinkeln.
Bei Colleen lagen die Dinge ganz anders. Sie hatte so verloren gewirkt bei dem Vergleich mit den Glühwürmchen, dass er sie einfach suchen gehen musste.
Warum glaubte sie nur, dass niemand sie wahrnahm? Ihm erschien es sogar unvorstellbar, dass sie nicht jeden Mann, der noch nicht jenseits von Gut und Böse war, ebenso faszinierte wie ihn selbst. Dabei war es nicht nur ihre äußerliche Schönheit, die ihn anzog. Ihre Verletzlichkeit rührte an etwas in ihm, das noch nie jemand zuvor berührt hatte: sein Herz.
Er stöhnte. Nicht, weil sich Dornenzweige in seinen Jeans verfingen, während er einem überwucherten Pfad tief in den Wald folgte, sondern weil er sich nicht verlieben wollte. Denn Liebe bedeutete Kummer.
„Fang mich doch!“, hörte er Colleen von weitem rufen.
Sollte er die Herausforderung annehmen? Er fühlte sich alt. Viel zu alt und zynisch für ihre Jugend und Unschuld. Er blieb abrupt stehen. Es stand ihm nicht zu, ihr nachzujagen.
6. KAPITEL
Colleen brach den wilden Lauf durch das Unterholz ab, lehnte sich atemlos an einen Baum und lauschte. Eine Weile lang hatten knackende Zweige verraten, dass Nick ihr folgte. Nun hörte sie nichts mehr. Nur Stille.
War er stehen geblieben oder gar umgekehrt? Offensichtlich hatte er aufgegeben. Sie hätte es wissen müssen und nicht weglaufen sollen. Doch sie hatte geglaubt, dass er sie wirklich begehrte.
Er war ihr ja auch gefolgt. Aber nur ein kurzes Stück. Offensichtlich war er es nicht gewöhnt, einer Frau
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