Julia Liebeskrimi Band 09
gestandener Cowboy, marschierte mit polternden Schritten voran und rief: „Was, verdammich , haben Sie nun wieder angestellt, Etta Sue?“
Molly stutzte. Hatte er wirklich „verdammich“ gesagt? Das konnte doch wohl nicht wahr sein!
Okay, der hochgewachsene, dunkle, attraktive Raleigh Tate sah aus wie ein Bilderbuch-Cowboy – angefangen bei seinem unrasierten Kinn bis zu den abgewetzten Absätzen seiner Stiefel. Er entsprach haargenau dem Bild, das sie sich seit der Gründung des Cowgirl-Clubs von einem Cowboy gemacht hatte. Das Bild stimmte, doch nicht die Handlung. Die Hälfte der Zeit sprach er wie ein … ein … Anwalt. Dann wiederum warf er mit Slang nur so um sich.
Was „verdammich“ ging hier vor?
Inzwischen hatten sie den Unglücksort erreicht, und Molly beleuchtete die kuriose Szene. Raleigh beugte sich über Etta Sue, die lang hingestreckt auf dem Fußboden lag. Über ihr türmte sich ein Ungetüm auf, das aussah wie ein …
Molly schluckte. „Sagen Sie mir, dass das kein Grizzlybär ist.“
„Ist es auch nicht, sondern ein ganz gewöhnlicher Schwarzbär. Man sagt, Wyatt hat ihn vor zehn Jahren hinten am Gatter erlegt und ihn dann in der guten alten Tradition weißer Jäger ausstopfen lassen. Vielleicht kann ich Etta Sues Haare aus den Klauen entwirren, wenn ich ‚Grizzly‘ von ihr runterrolle.“
Molly schob den Reinigungskarren zur Seite und ging Raleigh bei seiner Befreiungsaktion zur Hand. Schließlich hatten sie es geschafft, die arme Etta Sue war aus den Klauen des Bären befreit. Sie hatte lediglich eine Blessur auf der Wange davongetragen.
„Dachte schon, ich sei erledigt“, stieß Etta Sue mit einer Stimme rau wie Sandpapier hervor. „Hab Glück gehabt, dass er meinen Augapfel nicht aufgespießt hat wie ne Weintraube.“
„Sie hätten hier nicht im Dunkeln herumwandern sollen“, schalt Raleigh sie.
Mollys Blick brachte ihn zum Schweigen. „Wir sind alle im Dunkeln herumgewandert.“ Sie nahm die Schramme auf Etta Sues Wange in Augenschein. „Sieht böse aus. Wir müssen die Wunde desinfizieren.“ Sie hakte die Frau unter und führte sie zur Treppe. Etta Sue roch wie eine ganze Schnapsbrennerei, aber sie wirkte nicht betrunken. Plötzlich hielt sie abrupt inne und verlangte nach ihrem Rollwagen.
Molly drängte sie weiterzugehen. „Kommen Sie, Etta Sue. Ich verspreche Ihnen, Ihren Rollwagen zu holen, sobald ich Ihre Wunde verarztet habe.“
„Behandeln Sie mich nicht wie eine Schwachsinnige, Missy.“ Etta Sue zog den Kopf zwischen die Schultern und stemmte die Füße in den Boden. „Ohne meinen Rollwagen geh’ ich nirgends nich’ hin.“
Raleigh schüttelte den Kopf. „Schon gut. Ich hole ihn.“ Er folgte den beiden Frauen die Treppe hinunter, den bis oben hin beladenen Reinigungskarren Stufe für Stufe vor sich her schiebend. Wie Etta Sue damit den Aufstieg geschafft hatte, war ihm ein Rätsel.
Sie saßen alle in der Küche um den großen Tisch herum versammelt – Etta Sue frisch verarztet –, als aus der Lobby ein lautes Poltern ertönte, gefolgt von einem deftigen Fluch.
Molly zuckte erschrocken zusammen. Raleigh murmelte Wyatts Namen, eine düstere Miene aufsetzend. Jocelyn drückte den Karton mit den Kätzchen schützend an sich. Sharleen griff sich eine Taschenlampe und entschwebte in Richtung Lobby, Beschwichtigungen flötend.
„Geht’s hier immer so zu, oder liegt das am Sturm?“ Noch ein paar exzentrische Bewohner, und die Triple Eight konnte glatt als Irrenhaus durchgehen.
Raleigh schlenderte gemächlich zur Schwingtür. „Schlimmer.“ Die Flüche in der Lobby nahmen kein Ende und auch das Gepolter nicht. „Das ist der Boss.“
Mit einem Blick auf Jocelyns unschuldige Kinderohren scheuchte Molly Raleigh durch die Tür. Sie machte Anstalten, ihre Kleidung zu glätten und ihr Haar zu ordnen, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Wozu sich anstrengen? Ihr Stolz war ohnehin schon angekratzt durch Raleighs Abweisung. Und außerdem, wer, der auch nur halbwegs bei Verstand war, wollte schon so einen Job?
Etta Sue war in ihrem Stuhl zusammengesunken und döste jetzt mit offenem Mund vor sich hin, eine knochige Hand fest um den Griff des Rollwagens gekrallt. Jocelyn erklärte sich bereit, in der Küche zu bleiben und ein Auge auf sie zu haben.
Der Sturm war inzwischen etwas abgeflaut, und in der Lodge war es nicht mehr ganz so finster. Molly war sich sicher, die Lobby auch ohne Taschenlampe zu finden. Noch zögerte sie und listete in Gedanken
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