Julia Liebeskrimi Band 09
einmal gemerkt, dass ihr der Unterkiefer heruntergefallen war, bis Tish ihr mit dem Ellbogen einen Stoß zwischen die Rippen versetzte. Einen harten.
„Mund zu, Mädchen. Sonst schluckst du Mücken.“
Sie schluckte mehr als Mücken. Sie schluckte den Anblick von Reece Hendersons breiten Schultern, seiner muskulösen Brust und dem faszinierend flachen Bauch mit diesem kleinen seidigen schwarzen Haarwirbel direkt oberhalb des Nabels.
O Gott! Wo war ihre Kamera? Wo würde sie je wieder solche Extras finden, wenn sie sie brauchte? Würde er ihr erlauben, ihn nackt bis zur Taille zu filmen?
Dieser Gedanke brachte sie mit einem schmerzhaften Aufprall in die Realität zurück.
Sie hatte in den vergangenen acht Monaten nicht unter größten Mühen versucht, Geld für ihr Projekt aufzutreiben, und eine schauerlich teure Crew angeheuert, um Reece Hendersons atemberaubenden Körper zu filmen. Sie hatte ihrem Vater ein Versprechen gegeben und sich selbst in der Erinnerung an ihn … ein Versprechen, das sie in die Tat umzusetzen gedachte, sobald Reece mit dem, was er da machte, fertig war.
Er brauchte nicht lange, dann hatte er zwei kleinere Flaschenzüge zusammengebastelt.
„Ich steige hinauf und lasse den Flaschenzug für die erste Ladung herunter.“
„Ich komme mit“, sagte Sydney schnell.
Sie war eine Sekunde schneller bei der Aluminiumleiter als er. Sie würde es zu verhindern wissen, dass irgendjemand vor ihr einen Fuß in die Ruinen setzte. Das war ihr Traum, ihrer und der ihres Vaters.
Ihr Herz fing an zu klopfen, als sie ihren Fuß auf die erste Leitersprosse setzte. Als sie sich auf den Felsvorsprung schwang, rauschte das Blut in ihren Ohren.
Sie stand ein paar Meter vom Rand entfernt wie gebannt da und hatte Angst, sich zu bewegen, ja, fast zu atmen, weil sie befürchtete, die Ruinen könnten in sich zusammenfallen, bevor sie ihre Geheimnisse erkunden konnte. Sie wusste, dass ihre Angst irrational war. Diese Gebäude aus Stein hatten Hunderte von Jahren der mörderischen Sonne Arizonas standgehalten. Nachdem die Bewohner ihre Häuser und die Mais-, Bohnen- und Kürbisfelder verlassen hatten, hatte das auf dem Felsvorsprung liegende Dorf noch weitere hundert Jahre überdauert. Selbst Jahrzehnte unter Wasser hatten es nicht zu zerstören vermocht.
Und doch nahm Sydney mit jeder Pore ein Gefühl flüchtiger Schönheit in sich auf. Vielleicht erschienen die Ruinen deshalb so zerbrechlich, weil sie nur für ganz kurze Zeit aus den Fluten aufgetaucht waren, um anschließend, wenn das Staubecken wieder gefüllt war, erneut in der Versenkung zu verschwinden. Fasziniert von ihrem Zauber spähte Sydney durch die Muster aus Sonnenlicht und Schatten. Über ihr wölbte sich das rußgeschwärzte Dach einer Höhle. Vor ihr, so nah, dass sie sie berühren konnte, war eine niedrige Mauer. Zögernd, vorsichtig streckte sie die Hand aus. Der Stein fühlte sich unter ihren Fingerspitzen kalt und trocken an.
„Die Felsenbewohner wussten, was sie taten.“
Reece ragte hinter ihr auf, in seiner leisen Stimme schwang dieselbe Ehrfurcht mit, die Sydney beim Anblick der jahrhundertealten Ruinen fühlte.
„Sie bauten sich ihre Behausungen auf Felsvorsprüngen, die nach Osten oder Süden gingen, um die Sonnenenergie ausnützen zu können“, murmelte er. „Im Winter wärmte die Morgensonne ihre Häuser, und im Sommer schützten die Felsen sie vor der mörderischen Nachmittagssonne.“
Seine Finger berührten dieselbe Wand, die Sydney eben berührt hatte.
„Schauen Sie sich das an. Sie haben die Steine so fest verfugt, dass sie immer noch zusammenhalten, obwohl das Wasser den mit Stroh vermischten Lehm, den sie statt Mörtel benutzt haben, längst ausgewaschen hat.“
Die Hochachtung in seiner Stimme brachte ein Lächeln in ihre Augen. Sie kannte zwar den physikalischen Unterschied zwischen Hebepunkt und schiefer Ebene nicht, aber seine Wertschätzung für die architektonischen Fähigkeiten der Bewohner dieses Dorfs konnte sie nachfühlen. Sich mehr denn je in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft in Harmonie mit ihm fühlend, drehte sie sich um, in der Absicht, etwas von ihrem erst kürzlich erworbenen Wissen mit ihm zu teilen.
Die kleine Bewegung hatte zur Folge, dass sie sich zwischen der Steinmauer und Reese’ Brust eingeklemmt wiederfand. Sie atmete seinen Duft ein, eine Mischung aus Sonne und sauberem gesunden Schweiß, und spürte, wie ihr Herz einen kleinen Satz machte. Wenn sie sich auf die Zehenspitzen
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