Julia Liebeskrimi Band 09
es stimmte. Jamie hatte die Geschichte so oft von Rancharbeitern und Einwohnern von Chalo Canyon gehört, dass sie ihn nicht mehr schmerzte.
Die junge, lebenslustige Marianne Chavez hatte ihrem Mann einen tödlichen Schlag versetzt, als sie mit einem anderen Mann weggelaufen war, wobei sie ihm nur ein paar Zeilen und ihren fünf Monate alten Säugling hinterlassen hatte. Von diesem Tag an hatte Sebastian seine ganze Hingabe und seinen ganzen Ehrgeiz auf seinen Sohn gerichtet.
„Es geht nicht darum, ob ich Sydney traue oder nicht“, sagte Sebastian wütend. „Was ist, wenn dieser Film, den sie macht, im ganzen Land Aufmerksamkeit findet? Sie wird das Interesse auf die Ruinen lenken, und dann kommen alle möglichen Geschichtsforscher angereist. Sie werden die Hopi in Unruhe versetzen, versuchen, das Dorf zu retten, und vielleicht sogar verhindern wollen, dass das Staubecken wieder gefüllt wird. Und was dann? Wir brauchen das Wasser zur Bewässerung. Die Leute in der Stadt sind auf das Geld, das die Touristen und Angler bringen, angewiesen.“
„Ich weiß, Dad, ich weiß.“
„Und warum in Gottes Namen hast du ihr dann gestern ihre Ausrüstung in den Canyon geflogen?“
„Weil dein Trick, ihre Dreharbeiten zu behindern, nicht funktioniert hat. Ich habe gehört, dass Henry Three Pines seine Enkel bitten wollte, ihr zu helfen. Ich dachte mir, je eher sie mit den Dreharbeiten fertig ist, desto eher reist sie wieder ab, und das ist es doch, was du willst, oder?“
„Ich …“
Sebastian zögerte, seine schwarzen Augen waren einen Moment seltsam leer. Erst dann registrierte Jamie den bläulichen Schimmer auf den Lippen seines Vaters. Sein Herz zog sich zusammen. Trotz all ihrer Meinungsverschiedenheiten und sosehr er sich auch danach sehnte, der ständigen Aufmerksamkeit des alten Mannes zu entfliehen, konnte er sich doch eine Welt ohne seinen Vater nicht vorstellen.
Mit einem Satz war er bei ihm und ergriff ihn am Arm.
„Dad? Bist du okay?“
Sebastian gab sich einen kleinen Ruck und legte seine Hand auf die von Jamie. Der feste Griff des Älteren beruhigte den Jüngeren.
„Mir geht es gut.“ Sebastian packte fester zu und krallte seine Finger in Jamies Arm. „Aber versprich mir, dass du nicht wieder in den Canyon gehst.“
„Ich verspreche es“, erklärte Jamie ruhig.
„Gut. So, und jetzt geh und such deine Frau. Mir ist vor dem Abendessen nach einem doppelten Bourbon und etwas charmanter Gesellschaft zumute. Und vergiss nie, dass Arlene dich von ganzem Herzen liebt.“
Verdammte Frau!
Arlene fuhr sich mit einer Bürste durch ihr feines mahagonifarbenes Haar. Mit jedem Bürstenstrich kehrten ihre Gedanken zu Sydney Scott zurück. Sie sollte in der Hölle schmoren, weil sie Jamie mit Fantasien von einer Welt quälte, die so ganz anders als Chalo Canyon war … und einer Frau, die von seiner Ehefrau so verschieden war.
Arlene ließ die Bürste sinken und starrte in den vergoldeten Dreifachspiegel, den sie mit Sebastians Segen aus Italien hatte importieren lassen. Ihr Schwiegervater hatte sie und Jamie gedrängt, das dickwandige Adobe-Ranchhaus von Grund auf zu renovieren und zu ihrem Heim zu machen.
Jetzt wusste sie, dass Jamie den luxuriösen Flügel als ein Gefängnis betrachtete.
Ihr Herz schmerzte. Arlene begutachtete ihr Kinn und ihre ausgeprägten Wangenknochen aus drei verschiedenen Winkeln, aber die ausgemergelten Wangen sah sie nicht. Sie sah nur die kleinen Wülste in ihren Oberlidern. Mit einem zitternden Finger fuhr sie über eine winzige Falte. Trotz aller Bemühungen ließen sich die Fältchen weder durch Fasten noch durch Gesichtsgymnastik wegbekommen. Sie würde einen Schönheitschirurgen in Phoenix oder Scottsdale aufsuchen müssen. Sie würde gleich morgen anrufen und für nächste Woche einen Termin vereinbaren. Nein, sie würde warten, bis Sydney Scott Chalo Canyon verlassen hatte.
Verdammte Frau!
Sydney, die zum Glück nicht wusste, dass sie die Zielscheibe von so viel Mutmaßungen und Verärgerung war, lud kurz nach Einbruch der Dämmerung ihre Crew und ihre Ausrüstung ein.
Während der Fahrt zurück in die Stadt summte sie fast die ganze Zeit vor sich hin. Sie hatten einen guten Tag gehabt, sechs volle Stunden Sonnenlicht, und lediglich für die Innenaufnahmen war künstliches Licht nötig gewesen. Nur der Wind hatte nicht mitspielen wollen. Er hatte heute Nachmittag für etwa eine halbe Stunde tüchtig geweht, allerdings ohne das schaurige Heulen, das sie so gern
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