Julia Liebeskrimi Band 09

künstlerischen Fantasien versunken, dass sie nicht einmal registriert hatte, wie schwarz der Himmel inzwischen geworden war.
    Doch Reece war es ebenso wenig entgangen wie der Blitz, der über den Himmel zuckte, als er fast oben war. Fluchend erklomm er die letzten Sprossen und trat kaum eine Sekunde, bevor der nächste Blitz aufzuckte, auf den Felsvorsprung, erleichtert, von dem Aluminium wegzukommen. Er klopfte sich den Staub von der Hose und beobachtete, wie die stark verdichteten Ionen die Wolken von innen heraus erhellten.
    Teufel noch mal!
    Keine zehn Pferde würden ihn wieder auf diese Leiter bringen, ehe das Gewitter nicht weitergezogen war.
    Und genau das sagte er auch Sydney, als sie ein paar Sekunden später mit einem Gewirr aus schwarzen Kabeln und mehreren Mikros um den Hals schließlich auftauchte.
    „Soll das ein Witz sein?“
    Er fuhr sich mit einer Hand durch das vom Wind zerzauste Haar. „Ein Blitz kann bis zu zwanzigtausend Ampere haben. Über so etwas mache ich keine Witze.“
    „Zwanzigtausend?“ Sie warf einen respektvollen Blick in den Himmel. „Dann haben wir wohl keine andere Wahl, als es auszusitzen.“
    Sie befreite sich von dem Kabelgewirr und machte Anstalten, sich im Schutz einer halb in sich zusammengefallenen Mauer aus Stein niederzulassen. Reece ergriff ihren Ellbogen.
    „Wir sollten besser weiter nach hinten gehen, weg von der Leiter.“
    Sydney, die nicht als Feigling dastehen wollte, aber mehr als glücklich über seinen Vorschlag war, so viel Stein wie möglich zwischen sich und die Möglichkeit zu verbrutzeln zu bringen, zog sich eilig in die rabenschwarze Dunkelheit der Ruinen zurück.
    Reece, dessen Augen sich erst an die Lichtverhältnisse gewöhnen mussten, folgte ihr langsamer.
    „Hier hinten!“
    Ihre Stimme hallte durch die Ruinen. Nach ein paar Schritten schlossen ihn die Wände ein, die Decken waren so niedrig, dass er den Kopf einziehen musste. Die grellen Blitze, die durch die Fensterschlitze fielen, waren die einzige Lichtquelle. Obwohl sie schon drei Tage lang von der Sonne beschienen worden waren, strömten die Mauern noch immer einen starken Modergeruch aus.
    „Dieser Raum hier ist noch relativ intakt“, hörte er gleich darauf wieder Sydneys Stimme. Er musste sich tief hinunterbeugen, um eine kleine Kammer betreten zu können, die im niedrigsten Teil des Felsüberhangs versteckt lag. Reece stolperte über irgendetwas und wäre fast hingefallen, aber er fing sich im letzten Augenblick und tastete sich an der Wand weiter, bis er schließlich in der Dunkelheit einen matt schimmernden weißen Fleck entdeckte, den er wenig später als Sydneys Gesicht identifizierte.
    „Hast du keine Taschenlampe mit raufgebracht?“, fragte er.
    „Mehrere, aber sie sind in meinem Rucksack, und der liegt im Moment nur ein paar Schritte von der Leiter entfernt auf dem Boden.“ Sie schaute ihn hoffnungsvoll an. „Ich nehme nicht an, dass du irgendetwas Essbares dabeihast?“
    „Tut mir leid.“ Er ließ sich an der Wand neben ihr nieder. „Isst du eigentlich nie zu den regulären Mahlzeiten?“
    „Bei Dreharbeiten habe ich dafür keine Zeit.“ Sie dachte einen Moment darüber nach. „Und wenn ich zu Hause bin, auch nicht. Essen ist für mich nicht sonderlich wichtig.“
    „Mit Ausnahme von Momenten wie diesem, in denen du nicht arbeiten kannst“, riet er.
    Ihre Zähne schimmerten weiß in der Dunkelheit. „Vor allem in Momenten wie diesem. Deshalb steht Zack auf meiner Gehaltsliste. Er muss sich dann um die Nahrungsbeschaffung kümmern.“
    „Nur aus Neugier, aber in was für einer Währung bezahlst du ihn eigentlich? In silbernen Nasenringen?“
    „Das und indem ich ihm noch ein paar Tricks beibringe. Aber lass dich von seinem Äußeren nicht täuschen. Er hat auf der Filmhochschule einen glänzenden Abschluss gemacht.“
    „Dann sollte vielleicht er noch ein bisschen an seinem Profiimage feilen“, gab Reece zurück und streckte die Beine lang aus.
    „Sollten wir das nicht alle? Nimm dich, zum Beispiel. Als ich dich zum ersten Mal in deinen Jeans und dem Strohstetson sah, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass du ein Ingenieur sein könntest.“
    „Na, dein Erscheinungsbild war auch etwas irreführend. Man hätte dich eher für eine ausgeflippte Zirkusartistin halten können.“
    Sie lachten und warfen sich spielerisch noch ein paar Bälle zu, dann ließ das ohrenbetäubende Krachen eines Donnerschlags Sydney zusammenfahren. In derselben Sekunde tauchte ein