Julia Liebeskrimi Band 09
sein musste, in der sie arbeitete, begann sie durch die Straßen zu schlendern.
Es war Jahre her, seit sie zum letzten Mal in diesem Stadtviertel von Savannah gewesen war. Ihre Freundin hatte diesen Treffpunkt vorgeschlagen und ihr vorgeschwärmt, wie schön es hier nach der Sanierung geworden wäre. Und Mary musste zugeben, dass das tatsächlich stimmte. Von den Bürgersteigen hatte man den Asphalt abgetragen und das alte Pflaster freigelegt. Der Straßenrand war mit Schatten spendenden Bäumen bepflanzt, unter denen man gemütlich dahinflanieren konnte. Zwischen den Häusern rankten sich an zierlichen Spalieren Efeu und Bougainvillea empor, was der Gegend einen europäischen Anstrich verlieh.
Mary wanderte ziellos durch die Straßen und schaute, ohne etwas zu sehen. Als sie an einer roten Ampel warten musste, hörte sie, wie sich zwei Frauen vor ihr über die beiden kleinen Mädchen unterhielten, die auf dem Heimweg von der Schule verschwunden waren, das zweite erst vor ein paar Tagen. Es gab keinerlei Hinweise darauf, was mit ihnen passiert war. Mary hatte Mitleid mit den Eltern, die sicher entsetzliche Angst um ihre Kinder ausstanden. Sie wusste, was es bedeutete, Menschen, die man über alles liebte, zu verlieren – sie hatte sogar für die beiden Mädchen gebetet, auch wenn sie nicht wirklich daran glaubte, dass es etwas half. In Wahrheit hatte Mary ihr Vertrauen in Gott und die Menschen verloren.
Sie spazierte weiter, wobei sie ab und zu ihre Schritte verlangsamte, um einen Blick in ein Schaufenster zu werfen, auch wenn sie nicht wirklich vorhatte, etwas zu kaufen. Als sie schließlich vor einem Juwelier stehen blieb, merkte sie, dass sie nicht mehr wusste, wo sie war. Sie hatte sich vollkommen verlaufen. Eher neugierig als beunruhigt wandte sie sich auf der Suche nach einem Orientierungspunkt um, wobei ihr Blick auf einem Geschäft auf der anderen Straßenseite landete.
Zuerst fesselte der Name ihre Aufmerksamkeit. Time After Time . Doch als sie sah, dass es sich um einen Antiquitätenladen handelte, fuhr ihr der Schmerz wie eine eiserne Faust in die Magengrube.
Vor ihrer Heirat hatten sie und Daniel mit größter Begeisterung Antiquitätenläden nach seltenen Schätzen durchstöbert. Sie liebte alte Kochbücher und winzige Kleinigkeiten, die von richtigen Sammlern oft übersehen wurden. Diese gemeinsamen Streifzüge war eine Erinnerung an die Zeit, als sie und Daniel noch glücklich gewesen waren, als seine Familie noch nichts von Marys Existenz gewusst hatte. Sie erschauerte. Gott. Wie oft hatte sie in den vergangenen sechs Jahren an die weniger glückliche Zeit ihres gemeinsamen Lebens gedacht? Jedes Mal, wenn sie sich an ihre heftigen Auseinandersetzungen erinnerte, war ihr, als würde ihr eine Messerklinge ins Herz gestoßen, und der Schmerz war immer derselbe.
Seine Eltern hatten sie geradezu verabscheut, und Mary hatte nicht gewusst, wie sie ihrem Mann das begreiflich machen sollte. Immer wieder musste sie an das Weinen ihrer kleinen Tochter denken, mit dem sie auf die lautstarken Auseinandersetzungen zwischen ihr und Daniel reagiert hatte. Und immer machten sich dann auch wieder diese Schuldgefühle in ihr breit, weil sie gewusst hatte, dass die hitzigen Worte, die sie und ihr Mann sich an den Kopf warfen, ihrer kleinen Tochter Angst machten.
Daniel war zuletzt nur noch genervt gewesen, von seiner Frau, ihren Tränen und ihrer Unfähigkeit, mit seinen Eltern auszukommen. Mary hatte in der ständigen Angst gelebt, ihn zu verlieren, dass er irgendwann genug von ihr haben könnte – und verloren hatte sie ihn am Ende ja auch, nur auf eine ganz andere Weise, als sie es sich vorgestellt hatte.
Ein Auto, das dicht an der Bordsteinkante vorbeifuhr, riss sie aus ihren Gedanken.
Oh, Gott, wie lange willst du mich noch für meine Sünden bestrafen, bevor du mich endlich aus meinem Elend erlöst?
Wie üblich bekam sie keine Antwort auf ihre Frage. Zutiefst erschöpft wandte sie sich von dem Laden ab, wobei sie fast den Jungen übersehen hätte, der auf seinem Fahrrad um die Ecke bog. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, wich sie auf die Straße aus, und als sie sich umdrehte, sah sie, dass sie schon auf halbem Weg zu dem Antiquitätengeschäft war.
Plötzlich verspürte Mary das starke Verlangen, Verbindung zu Daniel herzustellen – und wenn es auch nur durch das Aufleben einer gemeinsamen Leidenschaft, dem Besuchen von Antiquitätengeschäften, geschah. Sie ging auf den Laden zu. Vor der Tür
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