Julia Liebeskrimi Band 09
hielt sie nur ganz kurz inne, dann atmete sie tief durch und trat ein. In der Luft hing der vertraute Geruch nach Möbelpolitur und alten Büchern, vermischt mit Staub, und über den bunt zusammengewürfelten Sachen auf dem Ladentisch lag eine dicke Staubschicht.
Mary ließ sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen, wobei irgendwo über ihr eine Glocke bimmelte. Im selben Moment sah sie einen alten Mann hinter dem Ladentisch stehen.
Sie hatte ihn entdeckt, als er den Kopf gehoben und sie angeschaut hatte. Er war winzig und gebückt und wirkte so alt wie das Inventar seines Ladens. In der einen Hand hielt er eine Tube Klebstoff und in der anderen eine Pinzette. Vermutlich war er gerade dabei, den alten Bilderrahmen zu reparieren, der vor ihm auf der Ladentheke lag.
„Guten Tag. Ich möchte mich nur ein bisschen umsehen“, sagte sie.
Er nickte und konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit.
Mary war erleichtert, dass der Alte offenbar nicht die Absicht hatte, sich ihr anzuschließen, um ihr irgendetwas aufzuschwatzen. Daniel und sie waren immer froh gewesen, wenn sie ungestört herumstöbern konnten.
Im hinteren Teil des Ladens wurde der Staub dicker und kitzelte sie in der Nase. Je weiter sie vordrang, umso schmaler wurde der Gang. Schließlich merkte sie, dass sie ihren Rock eng an ihren Körper presste, um zu verhindern, dass sie damit Staub wischte.
Obwohl sie anfangs gezögert hatte, den Laden zu betreten, schaltete sie nun sehr schnell in das, was Daniel immer ihren „Suchmodus“ genannt hatte, um. Mary gehörte zu den Menschen, die eher aus dem Bauch heraus kauften, ohne sich mit Antiquitäten wirklich auszukennen – und das hatten ihre Einkäufe auch meistens widergespiegelt. Sie erwarb ein bestimmtes Stück nur, weil es ihr gefiel, wobei sein Marktwert keine Rolle für sie spielte, und so kam es, dass ihr aus dieser kostbaren Zeit mit Daniel als Liebstes eine kleine, schlanke Vase geblieben war, für die sie die unerhörte Summe von fünfzig Cent bezahlt hatte. Diese Vase war kaum groß genug, um einen einzigen Geißblattzweig zu halten, aber ihre zerbrechliche Zartheit erinnerte Mary an glücklichere Zeiten.
Entschlossen reckte sie das Kinn, während sie sich ihren Weg durch das Chaos bahnte und auf einen einzeln stehenden Tisch an der hinteren Wand zusteuerte.
Auf ihm stand, inmitten heilloser Unordnung, ein kleiner Glaskasten mit Schmuck. Das Schloss war verrostet, was Mary angesichts der dicken Staubschicht auf dem Deckel nicht weiter erstaunte. Da sie einen Blick hineinwerfen wollte, zog sie ein Papiertaschentuch aus ihrer Tasche und wischte den Staub ab. Doch die Sicht wurde dadurch nicht wesentlich verbessert, denn das Glas schien durch die Jahre milchig und trübe geworden zu sein.
Mary drehte sich um und rief dem alten Mann zu: „Sir … ich würde mir gern den Schmuck hier ein bisschen näher ansehen. Haben Sie einen Schlüssel für diesen Kasten?“
Sie hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben, eine Schublade mit einem Quietschen geöffnet und wieder geschlossen wurde. Kurz darauf kam der alte Mann in gebückter Haltung schlurfend auf sie zu.
Mary versuchte ihn nicht anzustarren, aber sie schaffte es nicht, den Blick abzuwenden. Auf seinem Gesicht lag eine Mischung aus Alter und Traurigkeit und Wissen, das sich einstellt, wenn man schon zu viele nahestehende Menschen verloren hat.
Der Alte trat hinter sie und schloss das kleine Vorhängeschloss überraschend flink auf, dann klappte er den Deckel des Glaskastens hoch. Als sich ihre Blicke kurz trafen, hatte Mary das seltsame Gefühl, als ob der Mann sie ganz sacht berührt hätte. Doch dann blinzelte er, und das Gefühl war weg.
„Danke“, sagte sie. „Ich würde mir gern diese Ringe da ansehen. Könnte ich vielleicht …“
Ohne ein weiteres Wort schlurfte er wieder nach vorn, was Mary zu einem Schulterzucken veranlasste. Aus der dicken Staubschicht, die auf dem Schmuckkasten lag, konnte man schließen, dass er nicht allzu oft etwas daraus verkaufte. Nun, wenn der Alte bei anderen Kunden ebenso vertrauensselig war, war es das reinste Wunder, dass man ihm noch nicht den ganzen Laden leergestohlen hatte.
Es dauerte nicht lange, bis Mary merkte, dass ein Großteil des Schmucks Ramsch war – bis auf die Ringe. Sie betrachtete sie eingehend und probierte sogar den einen oder anderen an. Nachdem sie glaubte, alles gesehen zu haben, und gerade den Deckel schließen wollte, fiel ihr Blick auf ein Stück alter beschädigter Spitze,
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