Julia präsentiert Träume aus 1001 Nacht 04
erniedrigen und sich dem Mann anbieten, der sie nicht wollte.
Nachdem sie gegessen hatten und Arash das Geschirr vom Tisch geräumt hatte, servierte Lana noch Kaffee mit ein paar Winteräpfeln als Dessert. Die Äpfel waren ein wenig runzlig, aber essbar.
„Sind sie aus deinem eigenen Obstanbau?“, wollte Lana wissen.
„Ich hoffe es“, antwortete er. „Wenn nicht, würde es bedeuten, dass unsere Bäume nicht tragen.“
Lana biss in ihren Apfel und genoss den frischen Saftgeschmack. Trotz allem fühlte sie sich plötzlich im Einklang mit Arash und erkannte, dass sie ihm nicht lange böse sein konnte.
„Ist Aram ein Vorfahre von dir?“, erkundigte sie sich.
Ehe er antwortete, huschte ein Schatten über sein Gesicht. „Aram ist ein entfernter Vorfahre, über den wir zahlreiche Legenden haben. Er war der Anführer in diesem Tal, ein angesehener Krieger, der große mystische Kräfte besaß.“
„Ist das Wappen tatsächlich so alt?“
„Das Wappen nicht. Aber der Stein, der Rubin in der Mitte des Wappens. Er gehörte Aram.“
Lächelnd lehnte Lana sich mit dem Apfel in die Kissen zurück. „Also war es ursprünglich Arams Rubin?“
„So nennen wir ihn heute noch. In Arams Rubin sind Symbole geschnitzt, die Macht anziehen und im Stein halten. Der Stein stammt hier aus dem Tal und war einer der größten und schönsten Rubine, die je aus den Minen kamen.
Aram hat ihn selbst geschliffen. Nur er besaß das Wissen, das dafür erforderlich war. Ob er den Stein getragen hat oder als Siegel benutzt hat, weiß niemand. Er wurde jedenfalls über die Generationen in dieser Familie vererbt. Vor mehr als fünfhundert Jahren haben meine direkten Vorfahren den Rubin in das Wappen aus Gold, Silber und Kupfer einsetzen lassen, um die Macht des Steins zu erhalten.
Die Leute hier im Tal glauben, genauer gesagt, sie haben seit Hunderten von Jahren daran geglaubt, dass ihr Glück, ihr Leben und ihr Reichtum mit diesem Wappen in Verbindung steht. Solange der Scheich es besitzt, wird er sie auf dem rechten Weg führen, und damit wird alles Übel vom Volk ferngehalten.“
Nachdenklich hielt Arash inne und schien das Schweigen, das sich ausbreitete, nicht zu bemerken. Lana erkannte, dass er eine unsichere Zukunft auf sich zukommen sah.
Dann riss er sich sichtlich zusammen. „Das Wappen kann nur seinen rechtmäßigen Besitzern, den Scheichs der al Koshravi dieses Glück bringen. Es kann nicht verkauft werden. Und jeder, der es stiehlt, würde das Böse über sich selbst bringen.“
„Oh!“ Lana hatte vor lauter Aufmerksamkeit den Apfel in ihrer Hand vergessen. „Soll das heißen, es liegt ein Fluch auf dem Wappen?“
Arash lächelte kopfschüttelnd. „Kein Fluch. Wenn ein Unwissender in eine Steckdose fasst, ist es nicht ein Fluch, der ihn umbringt, sondern seine Unwissenheit über den Strom, der dort fließt, und wie man damit umgeht.“
Unsicherheit erfasste sie, und fasziniert lauschte sie ihm. Er redete darüber, als handele es sich nicht um uralte Geheimnisse, sondern um Fakten.
„Aber Arash … glaubst du daran?“
Er schaute nachdenklich auf. „Lana, am Eingang des Tals befindet sich ein Staudamm mit einem Wasserkraftwerk, den die Kaljuks zerbombt haben und der im Augenblick vom Geld deines Vaters wiederaufgebaut wird. Warum?“
Sie erschrak über den plötzlichen Themenwechsel. „Nun, Strom ist wichtig für den Lebensstandard der Menschen. Was meinst du damit?“
„Glaubst du an den Strom in dem Damm?“
„Glauben? Nein, ich meine, ja, aber ich muss nicht daran glauben, er ist einfach da.“
Arash lächelte und fuhr mit seiner Geschichte fort.
„Das Wappen von Aram wurde bei jeder Versammlung den Stammesmitgliedern im majlis präsentiert. Und als das gegenwärtige majlis gebaut wurde, in dem jetzt die Hühner, Schafe und Lämmer untergebracht sind, hat das Wappen einen festen Platz bekommen.
Das war vor zweihundertfünfzig Jahren. Und mit der Zeit wurde es Dar-i Khoshbakti , Tor zum Reichtum, genannt, weil der Reichtum seither ins Tal gezogen war.“
Als er verstummte, erinnerte sich Lana an ihren Apfel und biss erneut hinein. Sie wollte schon fragen, wer es gestohlen hatte. Doch die Geschichtenerzähler in Parvan musste man nicht anregen. Es galt als Kunst, und jeder gebildete Bürger des Landes verstand sich darauf. Das fiel ihr wieder ein, als Arash fortfuhr.
„Das Wappen hing viele Jahre unberührt an diesem Ort, und bei jeder Versammlung war es für die Männer des Tals das sichere
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