Julia Quinn
den beiden anderen
Männern des Kriegsministeriums, zu ihnen zu kommen, und erläuterte ihnen kurz
den Stand der Dinge. Sie hatten nicht viel Zeit, einen Plan zu fassen. Oliver
Prewitt zwang Caroline schon, zum Strand hinabzugehen. Aber Blake hatte bereits
vor langem gelernt, dass eine ausführliche Erörterung und Besprechung
unverzichtbar waren, darum hockten sie sich für einen Moment zusammen, um ihre
Vorgehensweise abzustimmen.
Unglücklicherweise wählten Prewitts
Männer genau diesen Augenblick, um ihrerseits zuzuschlagen.
Einmal am Strand angekommen, merkte Caroline, dass das Wasser
des Ärmelkanals keineswegs so ruhig war, wie sie angenommen hatte – und es war
nicht der Wind allein, der für die Wellen verantwortlich war. Ein Segelboot,
das sie als das Oliver Prewitts wieder erkannte, hatte weiter draußen in der
Bucht Anker geworfen, und unweit des Ufers dümpelte ein kleines Ruderboot auf
den Wellen. Das leise Knirschen von Sand unter Schuhen verriet, dass sie nicht
alleine am Strand waren.
»Wo zum Teufel haben Sie gesteckt?«
Caroline wirbelte herum und
blinzelte überrascht. Die Stimme hatte so volltönend geklungen, dass sie
unwillkürlich angenommen hatte, sie gehöre in einen großen, kräftigen
Körper, aber der Mann, der in das Mondlicht getreten war, war schlank und
beunruhigend elegant.
Ihr ehemaliger Vormund deutete mit
dem Kopf auf das Ruderboot und begann, Caroline mit sich zerrend, durch das
seichte Wasser darauf zuzuwaten. »Mir ist etwas Wichtiges dazwischengekommen.«
Der andere Mann musterte Caroline
mit unverschämten Blicken. »Sie ist ganz reizend, gewiss, aber ganz bestimmt
nicht unersetzbar.«
»Nicht ganz so reizend«, stellte
Oliver Prewitt hohntriefend richtig, »dafür aber mit einem Agenten des
Kriegsministeriums verheiratet.«
Bei seinen Worten keuchte Caroline
auf, kam ins Stolpern und fiel auf die Knie, wobei ihre Röcke sich mit Wasser
voll sogen.
Oliver stieß ein triumphierendes
Lachen aus. »Bis eben war es bloße Theorie, meine liebe Caroline. Sehr
zuvorkommend von dir, sie mir zu bestätigen.«
Sie kämpfte sich wieder auf die
Füße, sich die ganze Zeit lautlos verfluchend. Wie hatte sie nur so dumm sein
können? Sie hätte es doch eigentlich besser wissen müssen, als sich in Oliver
Prewitts Gegenwart irgendeine Regung anmerken zu lassen, aber er hatte sie
überrascht.
»Sind Sie völlig übergeschnappt?«
zischte der andere Mann. »Die Franzosen zahlen uns genug für diese Ladung,
dass wir ein bequemes Leben führen könnten. Wenn Sie unsere Unternehmung durch
Ihr vorschnelles Handeln gefährdet haben ...«
»Ladung?« erkundigte sich Caroline.
Sie hatte immer geglaubt, ihr ehemaliger Vormund habe lediglich Geheimbotschaften und Dokumente übermittelt. Aber das Wort Ladung schien auf
etwas Größeres hinzudeuten. Konnte es sein, dass sie Munition schmuggelten?
Oder gar Waffen? Das Boot wirkte nicht groß genug, als dass es mit etwas derart
Schwerem beladen sein könnte.
Die Männer schenkten ihr keinerlei
Beachtung. »Die Ehefrau eines Agenten«, stieß der Fremde aus. »Teufel, sind
Sie dumm! Das Letzte, was wir jetzt noch gebrauchen können, ist, die
Aufmerksamkeit des Kriegsministeriums zu erregen.«
»Die hatten wir schon erregt«,
schleuderte ihm Oliver entgegen und zog Caroline mit sich in immer tieferes
Wasser. »Blake Ravenscroft und der Marquis of Riverdale liegen in diesem Moment
dort oben auf dem Steilufer auf der Lauer. Sie haben uns schon die ganze Nacht
beobachtet. Wenn ich nicht gewesen wäre ...«
»Wenn Sie nicht gewesen wären«,
schnitt ihm der andere Mann das Wort ab, »dann hätte man uns zunächst einmal
nie entdeckt. Ravenscroft und Riverdale haben bestimmt nicht durch mich von
unserer Verabredung hier erfahren.«
»Sie kennen meinen Ehemann?« fragte
Caroline, zu überrascht, um sich weiter zu wehren.
»Ich weiß von ihm«, erwiderte er. »Und
morgen wird sein Name in ganz Frankreich bekannt sein.«
»Lieber Gott«, flüsterte sie
entsetzt. Oliver Prewitt musste eine Liste mit den Namen aller Agenten der
Krone außer Landes schmuggeln wollen. Agenten, die dann das auserkorene Opfer von Mordanschlägen werden
würden. Agenten wie Blake und James.
Sie erwog mindestens zehn
verschiedene Vorgehensweisen gleichzeitig und verwarf sie ebenso rasch wieder.
Schreien schien zwecklos; wenn Blake die Vorgänge auf dem Strand beobachtete,
dann hatte er sie gewiss schon gesehen und musste nicht mehr auf ihre
Anwesenheit aufmerksam
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