Julia Sommerliebe 0020
Arthritis geplagten Dame vielleicht einen Tribut fordern – ganz zu schweigen von den Gefühlen, die die Rückkehr nach Elba in ihr auslösen würde. Zudem musste Nonna Maria auch noch den Schmerz um den Verlust ihres geliebten Man nes verkraften, der fünfzig Jahre lang ihr Ein und Alles gewesen war.
„Kann ich dich kurz hier allein lassen?“, fragte Gina. „Ich würde gern nachsehen, ob jetzt jemand in der Villa ist.“
Die alte Dame strich ihr über die Hand. „Mach dir bitte keine Sorgen um mich. Ich bin einfach nur ein bisschen müde von der langen Reise gestern.“
Sie waren von Schottland nach Pisa geflogen, dann mit Zug und Taxi nach Piombino gefahren und von dort aus mit der Fähre nach Portoferraio, dem Hauptort auf Elba. Die anstrengende Reise war erst zu Ende gewesen, als sie das unberührte Westende der bergigen Insel erreicht hatten. Dort hatte Gina ein preisgünstiges privates Zimmer gemietet. Ein Doppelbett stand in dem Raum, der klein und einfach eingerichtet, aber gemütlich war. Mehr konnte sich Gina ohnehin nicht leisten. Außerdem waren sie in der Nähe vom Capo Sant’Andrea. An diesen Namen erinnerte sich ihre Großmutter und glaubte, dass ihr Ziel in der Nähe lag.
Gina war nicht überrascht, als der Siebzigjährigen die Strapazen der Reise deutlich zu schaffen machten. Doch ihre Großmutter hatte darauf bestanden, gleich am Morgen nach ihrer Ankunft an der nordwestlichen Küste nach dem gesuchten Ort zu forschen. Da sich der Taxifahrer in der Umgebung gut auskannte, hatten sie einen Glückstreffer gelandet und die versteckte Bucht mit dem „Dreizack des Neptun“ gefunden. Gina hoffte nur, dass ihre Großmutter vom weiteren Verlauf der Suche nicht enttäuscht sein würde.
Sie stand auf und nahm ihre Tasche. „Ich habe dir hier meine Handynummer aufgeschrieben, und Signora Mancini hat sie auch. Wenn du irgendetwas brauchst, kannst du dich jederzeit an sie wenden.“ Sie war der Vermieterin sehr dankbar, denn diese hatte sich freundlicherweise bereiterklärt, diskret ein Auge auf Nonna Maria zu haben, wenn Gina nicht da war.
Nickend versuchte ihre Großmutter, einen Hustenanfall zu unterdrücken, was Gina leicht beunruhigte. Sie runzelte die Stirn und neigte den Kopf, um die alte Dame auf die runzlige Wange zu küssen. Gleichzeitig sandte sie im Stillen ein Stoßgebet zum Himmel, die Reise möge erfolgreich verlaufen. „Ich werde mein Bestes für dich tun, nonna.“
„Das tust du doch immer, ragazza mia.“
Als ihre Großmutter sie mit feucht glänzenden Augen ansah, traten auch Gina Tränen in die Augen. Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ich bin bald wieder da.“
Um Kosten zu sparen, nahm Gina kein Taxi, sondern lieh sich ein Fahrrad und fuhr die schmalen, gewundenen Straßen entlang zu der Villa, die sie zuvor entdeckt hatten. Ihr ganzes Leben lang, also seit achtundzwanzig Jahren, hatte sie wenig Geld gehabt. Doch was den McNaughts an materiellen Dingen fehlte, machten unendliche Liebe, Zuneigung und Rückhalt in der Familie mehr als wett. Gina war sehr glücklich darüber gewesen, einen Teil dieser Liebe zurückgeben zu können, als ihre Großeltern während der vergangenen vier Jahre bei ihr gelebt hatten. Oft hatte sie froh geseufzt, weil die klare Luft, die behagliche Umgebung und der in Strathlochan herrschende Gemeinschaftssinn dem alten Paar so gutgetan hatten.
Jeglichen Gedanken daran, dass ihr eigenes Leben praktisch auf Eis lag, hatte sie energisch verdrängt. Nein, Gina bereute ihre Entscheidungen nicht. Doch jetzt war ihr Großvater gestorben, und sie vermisste ihn schmerzlich. Und leider hatten ihre Großeltern nie gemeinsam nach Italien zurückkehren können. Deshalb hatte Gina sich geschworen, Nonna Maria dabei zu helfen, ihren Plan in die Tat umzusetzen.
Es war nicht einfach, von ihrem Gehalt als Krankenschwester die laufenden Kosten zu bestreiten, die Hypothek für das Cottage abzuzahlen und den Lebenstraum ihrer Großmutter zu erfüllen. Die Rente der alten Dame war eher ein Almosen, und Ginas Großvater hatte ihr nur sehr wenig hinterlassen können, obwohl er sein ganzes Leben lang hart gearbeitet hatte. Für den Notfall hatte Gina noch etwas Geld zurückgelegt, hoffte jedoch sehr, dass sie ihre Reserven nicht ganz aufbrauchen musste. Auf keinen Fall durfte Nonna Maria herausfinden, dass sie ihre Ersparnisse für die Reise nach Elba verwendet hatte.
Am Tor der Villa hielt Gina einen Moment lang inne, atmete die klare Luft ein und ließ den Blick über
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