Julia Sommerliebe 0020
die wunderschöne Landschaft schweifen, über die mit Walnussbäumen bewachsenen Hänge, die sich bis zur Küste hinunterzogen. Es war vollkommen still. Wenn sie durch das Tor schritt, würde sie über eine Auffahrt zu dem hinter Bäumen versteckten Gebäude gelangen. Auf dem Schild stand in geschwungener Schrift: Villa beim Neptun-Felsen. Ihrer Großmutter zuliebe hoffte Gina, dass dies der richtige Ort war – und dass der Besitzer Verständnis für die ungewöhnliche Bitte hatte, die sie an ihn richten wollte.
Mit klopfendem Herzen ging Gina durch das Tor, zog die Pforte hinter sich zu und schob ihr Rad über die Auffahrt entlang. Der Weg war uneben, und sie war froh darüber, Turnschuhe zu ihren Jeansshorts und dem abgeschnittenen T-Shirt angezogen zu haben. Sobald das Gebäude in Sicht kam, befürchtete sie jedoch, dass sie zu leger gekleidet war. Denn wer auch immer hier wohnte, Geldsorgen hatte er sicher nicht.
Beeindruckt betrachtete Gina die lang gestreckte, fast palastartige Villa mit dem für Elba so typischen roten Ziegeldach und den zartgelb gestrichenen Wänden. Der üppige Garten bot einen perfekten Rückzugsort, das gesamte hügelige, bewaldete Grundstück schuf eine sehr private Atmosphäre. Bis auf Vogelgezwitscher und das leise Rascheln der Blätter im Wind war in der Stille des Nachmittags kein Geräusch zu hören.
Sofort verspürte Gina eine Art tiefen Frieden – und war von dem merkwürdigen Gefühl erfüllt, hier zu Hause zu sein. Befand sie sich wirklich in der Nähe des Ortes, der ihren Großeltern so viel bedeutet hatte? Dann war die Liebe, die sie hier gefunden hatten, hier sicher schon seit all den Jahren zu spüren.
Gina schüttelte den Kopf, um sich zu konzentrieren. Nachdem sie ihr Rad abgestellt hatte, hängte sie sich ihre Tasche um die Schulter und ging zur vorderen Haustür.
Als zu ihrer Enttäuschung niemand auf ihr Klingeln reagierte, zögerte Gina. Immerhin hatten sie und ihre Großmutter eine lange Reise hinter sich, und der alten Dame war das alles sehr wichtig. Vielleicht sollte sie warten, bis die Menschen nach Hause kamen, die in dieser Villa wohnten? Gina überlegte, ob sie eine Nachricht hinterlassen und darum bitten sollte, sie anzurufen. Doch eigentlich wollte sie den Grund ihres Besuchs lieber persönlich erklären.
Mit schlechtem Gewissen, weil sie sich auf einem Privatgrundstück befand, ging sie um das Gebäude herum. Es war u-förmig und so groß, dass ihr Cottage mehrfach hineingepasst hätte. Auf der breiten Terrasse standen ein Tisch, bequem wirkende Stühle und Liegesessel; es gab sogar eine Kochstelle. In einer Ecke entdeckte Gina eine Staffelei und Malutensilien. Unschlüssig drehte sie sich um.
Der Anblick der felsigen Klippen ließ ihr den Atem stocken. Noch nie hatte Gina etwas so Beeindruckendes gesehen.
Sie vergaß ihre Zurückhaltung und folgte einem Pfad, der sich durch die Büsche schlängelte. Er führte zu einer steilen Steintreppe, über die man zu einem tief unten gelegenen Strand gelangte. Hier mussten Maria und Matthew sich begegnet sein – vor fünfzig Jahren, bevor die Villa erbaut worden war. Gina musste einfach hinuntergehen und es mit eigenen Augen sehen, die kleine Bucht und die wie Neptuns Dreizack geformten Felsen – der Ort, an dem die Liebe ihrer Großeltern ihren Anfang genommen hatte.
Der Abstieg auf den in den Fels gehauenen Stufen war schwierig und nicht ungefährlich. Wenn dies wirklich der gesuchte Ort war, dann wäre Nonna Maria niemals in der Lage, auf diesem Weg an den Strand zu gelangen. Als Gina den halbmondförmigen kleinen Strand erreicht hatte, der von Felswänden begrenzt war, betrachtete sie die Felsformation, die sich in einiger Entfernung aus dem Wasser erhob. Tatsächlich, es sah wie ein riesiger Dreizack aus – genau wie ihre Großeltern es immer wieder so anschaulich beschrieben hatten.
Die Einsamkeit, die Schönheit der sie umgebenden Natur und das klare, in tiefblauen und smaragdgrünen Tönen schimmernde Wasser, der Anblick überwältigte Gina. Sie setzte sich hin und schlang die Arme um die Knie. Als sie die warmen Strahlen der Septembersonne auf der Haut spürte, schloss sie die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Dabei stellte sie sich vor, wie ihre Großeltern sich hier begegnet waren, sich heimlich zu romantischen Rendezvous getroffen und dann beschlossen hatten zu heiraten, obwohl Marias Eltern damit nicht einverstanden gewesen waren.
Doch Maria und Matthew hatten es geschafft, sie hatten
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