Julia Sommerliebe 0020
durchsuchte ihre Handtasche und reichte der Unbekannten einen Kugelschreiber und eine Papierserviette. Kurz darauf steckte sie die Serviette wieder ein, fest entschlossen, den Arzt am nächsten Tag anzurufen.
„Du wirst nicht enttäuscht sein. Dieser Mann hat viel Erfahrung mit Leuten aus dem Showbiz. Ein Besuch, und es wird dir bald besser gehen.“
Und das Mädchen sollte Recht behalten. Dr. Browne hatte Victorias Problem sofort erkannt und ihr ein Rezept für eine erhebliche Anzahl kleiner Kapseln ausgestellt. Die würden ihr schnell Linderung verschaffen, hatte er versprochen. Und wenn sie ein neues Rezept für weitere Kapseln benötigte, sollte sie einfach in der Praxis anrufen.
In der Tat, die Kapseln halfen, und schon bald rief Victoria wieder an – auch wenn das Medikament ziemlich teuer war. Allerdings war Geld schon lange kein Thema mehr für sie. Es schien quasi wie von selbst auf ihr Konto zu fließen.
Jetzt stand sie im Bad ihrer Suite und zögerte einen langen Moment, während sie die Kapsel in ihrer Handfläche betrachtete. Tief im Innern wusste sie, dass sie dieses Zeug nicht nehmen sollte. Sie hatte den Arzt nie gefragt, was die Tabletten eigentlich enthielten. Auf der anderen Seite: Wenn so viele Schauspieler Gebrauch davon machten, konnten sie so schädlich ja gar nicht sein. Und während Victoria an ihren nächsten öffentlichen Auftritt dachte und eine Panikwelle in sich aufsteigen spürte, schluckte sie die Pille eilig hinunter.
Wenige Minuten später fühlte sie bereits, wie sich die dunkle Wolke in ihr lichtete. Plötzlich war sie entspannt und zuversichtlich. Aber vor dem Abendessen würde sie noch eine Tablette nehmen müssen, darüber war sie sich im Klaren.
Ob Anne wohl ahnte, dass sie ihre Ängste mithilfe von Medikamenten in Schach hielt? Victoria bezweifelte es. Sie war sehr darauf bedacht, diese Tatsache zu verheimlichen. Anne reagierte äußerst kritisch auf alles, was dem Ruf ihres Schützlings schaden konnte. Also sagte Victoria nichts und dachte sich, dass schon alles in Ordnung sei, solange niemand etwas wusste. Mit diesen Kapseln konnte sie sich schließlich so verhalten, wie es von ihr erwartet wurde, und nur darauf kam es an.
Sie trat ans Fenster und blickte hinunter auf die Leute, die die Promenade entlangspazierten: schaulustige Fans, Möchtegern-Stars, die versuchten, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und hohe Tiere aus der Filmindustrie. Einen Moment lang schämte Victoria sich fast. Was würden diese Leute da unten wohl geben, um auch nur für einen Tag mit ihr zu tauschen? Sie hatte doch alles, wovon die meisten Menschen nur träumten. Und doch hasste sie ihre Lage. Nicht das Schauspielern an sich – das hatte ihr sehr gefallen, obwohl die Dreharbeiten gnadenlos anstrengend gewesen waren. Das Filmset war ihr Element. Und als sie endlich die erste Rohfassung des Films sah, war sie wie verzaubert. Nein, es war der ganze Rummel um ihre Person, der ihr so zusetzte.
Ein Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken. Gleich sollte es wieder losgehen. Ein volles Nachmittagsprogramm stand ihr bevor: Interviews, Friseur, Maske, Fototermin. Victoria schluckte. Es führte kein Weg daran vorbei.
„Herein“, rief sie und setzte ein Lächeln auf.
„Wie fühlst du dich, Vic?“ Anne musterte sie eingehend.
„Danke, gut. Ich bin startklar.“
„Sehr schön.“ Anne wirkte erleichtert. „Dann machen wir uns auf den Weg. Die Presse wartet im großen Konferenzraum, aber erst bringen wir dein Make-up und deine Frisur in Ordnung. Marci hat dein Kleid fertig.“
Victoria nickte. Sie war entschlossen, es durchzustehen. Sie würde es schaffen, und vielleicht würde sie sogar lernen, es etwas weniger zu hassen … Unauffällig ließ sie ihre Hand in die Tasche ihrer Designerjacke gleiten und tastete nach der Kapsel, die sie dort sicherheitshalber verstaut hatte. Dann schüttelte sie ihr langes Haar und probte noch einmal die verschiedenen Gesichtsausdrücke, die sie vor dem Spiegel geübt hatte. Ihre Masken, wie Victoria sie im Stillen nannte.
Kurz darauf fuhren die beiden Frauen mit dem Fahrstuhl hinunter in die Empfangshalle. Anne erteilte letzte Anweisungen über ihr Handy, dann öffneten sich die Fahrstuhltüren und alles begann von vorne.
„Okay“, meinte Anne einige Stunden später auf dem Weg zur Präsidentensuite, in der Ed eine Cocktailparty veranstaltete. „Du hast dich wacker geschlagen.“
Victoria verdrehte die Augen. „Aber ich muss noch das Dinner
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