Julia Sommerliebe 0020
Hätte sie doch nur nie zugestimmt, in diesem Film mitzuspielen. Noch dazu in der Hauptrolle! Aber wie hätte sie auch ahnen können, dass dieser kleine Streifen ein potenzieller Gewinner bei den französischen Filmfestspielen werden könnte? Noch vor wenigen Monaten hätte sie es sich nicht einmal träumen lassen, überhaupt je nach Cannes zu kommen, in das elegante Hafenstädtchen, in dem die Filmwelt alljährlich ihre Werke prämiert. Und nun war sie selbst einer der am meist umjubelten Stars hier!
Victoria seufzte. Sie konnte sich noch so sehr in die Geborgenheit Hetheringtons zurückwünschen. In dem kleinen englischen Dorf hatte sie ihr ganzes Leben verbracht. Ein ruhiges, ereignisloses Leben. Damals kam ihr dieses Dasein langweilig vor, und sie hatte sich nach Veränderung, nach Abenteuer und dem Hauch der weiten Welt gesehnt. Und dann war die Veränderung plötzlich gekommen, schneller und gewaltiger, als sie es je für möglich gehalten hatte. Es war, als hätte das Schicksal ihren Wunsch erhört. Das neue Leben war ein rasanter Wirbelwind aus Hollywoodpartys, Privatflugzeugen und der ständigen Belagerung durch neugierige Fans.
Auch jetzt, auf dem Flughafen von Nizza, lauerte eine Horde aufdringlicher Reporter auf sie.
„Du musst lächeln“, zischte Anne Murphy, ihre Agentin. „Ed flippt aus, wenn er noch mehr Fotos sieht, auf denen du schmollst.“ Anne zog Victoria hinter sich her und steuerte den Ausgang der Flughafenhalle an. Sofort wurden die beiden Frauen von Presseleuten umzingelt.
„Stimmt es, dass Sie die Goldene Palme gewinnen werden, Miss Woodward?“ Aggressiv hielt ihr der Reporter ein Mikrofon unter die Nase.
„Haben Sie einen Freund, Miss Woodward? Stimmt es, dass Sie mit Peter Simmons liiert sind?“
Victoria spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte – ein Gefühl, das sie inzwischen nur zu gut kannte. Lähmende Angst machte sich in ihr breit, und sie hatte den Eindruck, weder sprechen noch weitergehen zu können.
„Bring mich hier weg“, murmelte sie Anne zu. Ihre Stimme zitterte leicht.
„Da drüben steht schon der Wagen.“ Anne fasste Victoria am Arm und führte sie zielstrebig durch die Menge.
Zwei kräftige junge Männer in schwarzen Anzügen hielten die Schaulustigen zurück, während Anne sich ihren Weg zu der Limousine bahnte, die Victoria wie ein sicherer Hafen erschien. Nur mit Mühe setzte sie einen Fuß vor den anderen und brachte ein flüchtiges Lächeln zustande, bevor sie sich in den Wagen sinken ließ. Dort kauerte sie sich in ihren Sitz und ignorierte die gierigen Gesichter, die sich an die Scheiben drückten.
„Victoria, du musst dich einfach an diese Situationen gewöhnen“, bemerkte Anne, als die Limousine endlich anfuhr. Anne war Mitte Dreißig und gebürtige New Yorkerin. Ihr energisches Auftreten stand in merkwürdigem Kontrast zu ihrer kleinen, zierlichen Gestalt.
„Ich hasse es einfach“,flüsterte Victoria und streckte ihre Beine aus. „Diese vielen Menschen machen mir Angst. Irgendwie bekomme ich keine Luft mehr und …“
„Jetzt ist nicht die Zeit für dramatische Offenbarungen“, erwiderte Anne mit strengem Blick. „Du bist auf Sendung, Schätzchen. Dafür gibt es schließlich auch ein paar Millionen Dollar.“
„Ich dachte, die Millionen seien für meine Rolle im Film“, erinnerte Victoria seufzend und senkte den Kopf, sodass ihr die blonden Haare wie ein Vorhang vors Gesicht fielen.
„Ach, sei doch nicht kindisch, Vic. Du weißt ganz genau, dass diese Rolle nur der Anfang war. Ich verstehe wirklich nicht, warum du dich beschwerst. Jede andere Frau wäre glücklich, so schnell wie du berühmt zu werden.“
„Ich finde es anstrengend.“
„Und ich gebe es auf!“ Anne verdrehte genervt die Augen. Sie wünschte, Ed Banes, der Regisseur, hätte jemand anderes für die Rolle ausgewählt. Denn obwohl Victoria ein Naturtalent war, hatte man von Anfang an nur Scherereien mit ihr. Anne hatte Ed und die anderen gewarnt, dass es kein Zuckerschlecken sein würde mit diesem Mädchen. Aber hatten sie auf sie gehört? Nein. Und jetzt musste sie, Anne, das Schlammassel ausbaden. Wie immer. Sie mochte Victoria sehr, hielt sie für ein nettes, hübsches Ding und für eine großartige Schauspielerin. Aber das war einfach nicht genug. Wenn sie sich in der Öffentlichkeit so schwer tat und die Medien derart scheute, nützte alles Talent der Welt nichts.
Anne warf einen Seitenblick auf ihren Schützling und beschloss, Victoria bis zur
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