Julia Sommerliebe 0020
sammeln. Er arbeitete bei großen Unternehmen in London und New York und kostete sein Leben in vollen Zügen aus. Dennoch war er sich immer bewusst, dass er eines Tages das kleine Fürstentum regieren würde. Und als es endlich so weit war, nahmen die Inselbewohner misstrauisch zur Kenntnis, wie Rodolfo seine Reformen einführte und neue Gesetze verabschiedete.
Nach und nach konnte er die Bewohner Malvarinas von seinen Plänen überzeugen. Inzwischen gab es eine hervorragende Tourismus- und Hotelfachschule auf der Insel, eine Reihe hochkarätiger Kulturveranstaltungen und ein überzeugendes Angebot an Luxushotels und exklusiven Sportklubs, was Prominenz aus aller Welt anzog. Rodolfo wollte dabei stets nur das Beste für sein Volk. Gleichzeitig erwartete er von den Inselbewohnern aber auch erstklassigen Service für die Neuankömmlinge, die er einlud, auf der Insel zu leben.
Kritisch blickte Rodolfo nun in sein sonnengebräuntes Gesicht im Korridorspiegel und rückte seine Krawatte zurecht. Er war gealtert in den letzten Jahren. Die immense Verantwortung hatte winzige Krähenfüße um seine dunklen Augen gezeichnet, und an den Schläfen wurden ein zelne silbergraue Strähnen erkennbar. Nun ja, c’est la vie, dachte er. Und während er seine Manschettenknöpfe über prüfte, fragte er sich, mit welchem Filmstar er heute Abend plaudern und wie viel arrogantes Getue er diesmal ertragen musste.
Der ganze Glanz und Glitter in Cannes interessierte ihn nicht besonders. Aber genau hier konnte man potenzielle Geldgeber finden. Die Leute fühlten sich zum Adel hingezogen wie die Bienen zum Honig. Ein ironisches Lächeln umspielte seine Lippen. Wie viele Frauen hatten sich ihm schon aufgedrängt, in der Hoffnung, eine einzige Nacht mit ihm verbringen zu dürfen. Nur, um damit prahlen zu können, eine Affäre mit einem der begehrtesten Junggesellen Europas gehabt zu haben. Manche hatten sicher von einem Liebesmärchen à la Grace Kelly geträumt. Aber all die aufgedonnerten Blondinen mit ihrem vielen Make-up ließen ihn kalt. Auch die geistlosen Topmodels, mit denen er sich in der Vergangenheit hin und wieder eingelassen hatte, waren ihm mittlerweile egal. Ganz zu schweigen von dem Medienrummel, den seine zahlreichen Liebeleien stets aufs Neue auslösten.
Jetzt ging es nicht mehr nur um ihn, sondern auch um Malvarinas Zukunft. Der Inselrat suchte aktiv nach einer passenden Gattin und hatte ihm bereits mehrere adelige Frauen vorgestellt. Rodolfo seufzte. Allein der Gedanke deprimierte ihn. Sein Leben mit einer Frau zu verbringen, die er nicht liebte, das schien zu viel verlangt. Andrerseits hielt er sich sowieso für liebesunfähig, seit Giada vor sieben Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen war. Vielleicht wäre es wirklich besser, nicht mehr auf die große Liebe zu hoffen und eine Zweckehe einzugehen. Zum Beispiel mit der spanischen Herzogin, von der die Mitglieder des Inselrats so begeistert waren. Oder auch mit dieser Gräfin aus Luxemburg.
Er warf einen Blick auf die schmale Golduhr an seinem Handgelenk. Es wurde Zeit. Noch so ein elegantes Abendessen. Wie viele davon würden die Leute hier wohl noch ausrichten wollen, fragte er sich und schnitt eine Grimasse.
Victoria spielte mit dem Stiel ihres Champagnerglases und versuchte, Interesse vorzutäuschen. Ein Schauspieler erzählte ihr langweilige Geschichten über seine Rolle in irgendeinem Actionstreifen. Der Film würde nächstes Jahr ganz sicherlich einen Preis beim Sundance-Filmfestival gewinnen, versicherte er, auch wenn man sich hier in Cannes nicht gerade begeistert zeigte. Während sie etwas gezwungen zu lächeln versuchte, hielt Victoria nach Anne Ausschau und hoffte, ihre Agentin würde sie retten.
Der Abend hatte gerade erst angefangen, und es graute ihr bei dem Gedanken, sich noch stundenlang mit wildfremden Menschen unterhalten zu müssen. Zum Glück wurde nun das Dinner eröffnet, und sie konnte vor ihrem arroganten Gesprächspartner flüchten.
„Mademoiselle Woodward …“
Der Zeremonienmeister begleitete Victoria an ihren Platz. Sie dankte und setzte sich an die riesige, elegant eingedeckte Tafel. Warum konnte sie nicht an einem unauffälligeren Platz sitzen? Immer mehr Gäste strömten herein und begaben sich zu Tisch. Der große Saal war wie ein Märchenwald dekoriert. Glitzernde, mit winzigen Lichtern umrankte Silberblätter und Zweige hingen von den funkelnden Kronleuchtern herab. Die Wirkung war atemberaubend. Außerdem war der
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