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JULIA SOMMERLIEBE Band 20

JULIA SOMMERLIEBE Band 20

Titel: JULIA SOMMERLIEBE Band 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MARGARET MCDONAGH FIONA HOOD-STEWART NICOLA MARSH
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sich zu beweisen. Aber dank Gina, die mit solcher Begeisterung über ihre Arbeit sprach, begann er, die Dinge aus einem neuen Blickwinkel zu sehen. Ihm standen andere Bereiche der Medizin offen, bestimmt konnte er auch auf irgendeine Art etwas bewegen. Er konnte noch immer Menschen helfen. Ricco hätte ihn zum Beispiel sofort in seiner Klinik eingestellt, das wusste Seb. Nur dass er in einem anderen Bereich arbeiten wollte. Er musste eine neue Nische finden. Und Gina hatte ihm da schon einige wertvolle Anregungen gegeben.
    „Wie denkst du denn über Obdachlose?“, fragte er und war selbst erstaunt, dass er dieses Thema ansprach. Früher wäre er nie auf die Idee gekommen. „Viele sind ja der Meinung, dass ihnen ohnehin nicht zu helfen ist und man nur Mittel auf sie verschwendet, die anderen zugute kommen könnten.“
    „Wer so etwas sagt, liegt völlig falsch“, entgegnete Gina und schob schwungvoll ihren leeren Teller zur Seite. In ihren Augen schimmerte ein leidenschaftliches Funkeln. „Menschen landen aus den verschiedensten Gründen auf der Straße. Dadurch sind ihre Möglichkeiten natürlich stark eingeschränkt. Deshalb haben viele Obdachlose das Gefühl, es gäbe keine Anlaufpunkte für sie. Sie sehen keinerlei Chancen für sich. Aber jeder Mensch kann schnell in eine Lage geraten, in der er die Hilfe anderer braucht. Ich finde, jeder hat das Recht auf die Unterstützung, die wir anbieten.“
    „Ja, da hast du recht.“ Seb wusste nicht, ob er das Thema vertiefen sollte. Doch da kam Gina ihm zuvor – und überraschte ihn erneut.
    „Mein Vater und mein Großvater haben während einer Zeit, als die wirtschaftliche Lage schlecht war, ihre Jobs verloren. Der ganzen Schiffsbranche ging es immer schlechter, und das Leben war sehr schwer. Wir haben damals sogar unser Haus verloren, sodass Mum, Dad und ich zu Nonno Matteo und Nonna Maria ziehen mussten. Keiner von uns hatte Geld. Und ich war damals zwar erst zehn. Aber die Angst der Erwachsenen, ihre ständige Arbeitssuche und den täglichen Kampf habe ich noch gut in Erinnerung. Jeden Tag ging es um die Frage, ob genug zu essen da ist, mit welchem Geld Kleidung und grundlegende Dinge gekauft werden können.“
    Er verspürte einen Stich im Herzen, als sie den Kopf senkte. Tief berührt von ihrer Geschichte, nahm Seb ihre Hand. „Gina …“
    „Dann hörten sie davon, dass es in Tyneside möglicherweise Arbeit gab. Meine Eltern fuhren sofort hin, aber es klappte nicht. Auf dem Rückweg nach Glasgow sind sie bei einem Zugunglück ums Leben gekommen.“
    „Das tut mir leid, tesoro.“
    Gina schüttelte den Kopf. Mit leiser, trauriger Stimme sagte sie: „Es ist schon lange her.“
    „Dann haben dich also deine Großeltern großgezogen?“
    „Ja. Sie haben sich sehr liebevoll um mich gekümmert und waren immer für mich da.“ Ihre Augen glänzten feucht.
    Kein Wunder, dass sie so an ihnen hing und ihnen gern etwas zurückgeben wollte. „Du bist wirklich toll“, flüsterte Seb und meinte es genau so, wie er es sagte.
    „Nein. Ich habe dir das nur erzählt, um zu erklären, dass jedem etwas zustoßen kann. Niemand hat das Recht, andere zu verurteilen, die es schlechter haben als man selbst.“
    „Ich habe auch ein paar Jahre auf der Straße gelebt“, sagte Seb und fragte sich im selben Moment, warum er ihr das anvertraute. Sicher nicht, weil er Mitleid wollte. Vielleicht wollte er wissen, ob Gina ihn anders behandelte, wenn sie von seiner Vergangenheit erfuhr. Oft hatten sich Menschen geradezu an ihn gehängt, weil er ein erfolgreicher Chirurg und bekannt war. Dieselben Menschen hätten ihn verachtet, wäre ihnen zu Ohren gekommen, was er für ein Leben geführt hatte.
    Gina drückte seine Hand und sah ihn voller Verständnis und Bedauern an. In ihrem Blick lag kein Mitleid. „Was ist damals passiert?“
    Außer Ricco hatte er noch niemandem von diesen dunklen Jahren erzählt, und selbst sein Cousin wusste nicht alles darüber. Doch Ginas Anteilnahme und ihr ehrliches Interesse bewegten Seb dazu, sich ihr anzuvertrauen.
    „Mein Vater ist gestorben, als ich noch klein war. Weil seine Familie von meiner Mutter und seiner Ehe nichts hielt, lief meine Mutter noch in derselben Nacht mit mir davon. Sie hatte Angst davor, dass ich ihr weggenommen würde.“ Bei der Erinnerung an jene Zeit schloss Seb einen Moment lang die Augen. Dann schluckte er und fuhr fort, ohne Gina dabei anzusehen: „Meine Mutter war labil. Sie war depressiv, trank zu viel und nahm

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