JULIA SOMMERLIEBE Band 21
klei ne Amulett, das Sofie ihr geliehen hatte, lag auf dem Tischchen neben dem Bett. Die Diamantkette hatte sie im Zimmer des Scheichs zurückgelassen, zusammen mit dem kostbaren Goldarmband, das sich von jeher viel zu schwer an ihrem Handgelenk angefühlt hatte.
Perveneh versuchte gerade, die Falten in dem goldenen Kleid zu glätten, als Sofie erschien. Lächelnd trat sie ein, schien jedoch zu spüren, dass etwas nicht stimmte, da ihr Lächeln mit einem Schlag verblasste. Sie nahm Perveneh das Kleid ab und warf Linda einen forschenden Blick zu. Zweifellos würde sie keine Fragen stellen, weil das der Gipfel der Unhöflichkeit sein würde. Linda knabberte an ihrem frischen warmen Brötchen mit Aprikosenmarmelade. Sollten die beiden arabischen Mädchen doch denken, dass eine englische Braut sich eben anders verhielt als sie selbst.
Galten die Briten nicht ohnehin als reservierte Menschen, die ihre Gefühle für sich behielten? Linda hatte sich sowieso nie anmerken lassen, wenn sie verletzt oder enttäuscht war. Stattdessen hatte sie sich zurückhaltend gegeben, um persönliche Fragen erst gar nicht aufkommen zu lassen.
„Tut mir leid, dass das Kleid zerknittert ist, aber die Falten lassen sich bestimmt herausbügeln“, meinte sie leichthin. Zumindest Sofie würde wohl vermuten, dass der Scheich sich nicht die Zeit genommen hatte, das Kleid in den Schrank zu hängen, nachdem er es Linda ausgezogen hatte. „Vielen Dank euch beiden, dass ihr mir das Amulett und die Slipper geliehen habt.“
„Ich kümmere mich um das Kleid, Mylady. Danach packe ich es mit den anderen Hochzeitskleidern weg. Solche Dinge sind sehr wertvoll“, fügte Sofie fast feierlich hinzu.
„Natürlich sind sie das.“ Trotzdem versuchte Linda das Bild aus ihrem Kopf zu verscheuchen, wie sie als verschleierte Braut neben Karim gestanden hatte. Für sie galt diese Hochzeit als annuliert, und jetzt musste sie einen Weg finden, wie sie nach England zurückkehren könnte.
Wie ihre Flucht vonstatten gehen sollte, wusste sie noch nicht. Bis es so weit war, würde sie das Beste aus dieser unglücklichen Situation machen und versuchen, den Aufenthalt in der ungewöhnlichen Stadt Fes Eldjid zu genießen. Das wenige, was sie bei ihrer Ankunft gesehen hatte, hatte in ihr den Wunsch geweckt, den Basar zu besuchen und sich die alten Paläste anzusehen.
Sie würde Karim bitten, sie zu einer Stadtbesichtigung mitzunehmen. Selbst wenn sie nicht länger Liebende waren, mussten sie doch um seines ausgeprägten Stolzes willen eine Fassade der Verbundenheit aufrechterhalten. Er würde bestimmt nicht wollen, dass es die Runde machte, sie würden jetzt schon nicht mehr das Bett zusammen teilen.
Um ihrer beider willen wollte sie den Schein wahren, selbst wenn ihre Ehe nur noch eine Illusion war. Vom Country Club zu Hause kannte sie Paare, die vorgaben, sich prächtig zu verstehen, obwohl ihre Welt schon ein Scherbenhaufen war.
Ein trockenes Lächeln umspielte Lindas Lippen. Sie war dieser verlogenen Atmosphäre entflohen, nur um sich mit Karim nun in der gleichen Situation zu befinden.
Wo kann man Glück überhaupt finden?, überlegte sie. Sie hatte gehofft, es in Spanien zu finden, aber auf dem verschlungenen Pfad des Schicksals war ihr El Khalid begegnet. All das, was sie ihm in der letzten Nacht gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Er hatte sie begeistert und in diese Ehe gezwungen, ohne sich je die Zeit zu nehmen, Fragen zu stellen. Und sie war nicht gewillt, sich deshalb schuldig fühlen zu müssen.
Auch nicht wegen ihrer Mutter. Obwohl sie in gewisser Weise verstand, dass Karims Herz schon sein ganzes Leben lang von Hass gegen die Menschen erfüllt war, die ihm seine Eltern geraubt hatten. Sie selbst hatte zumindest erfahren dürfen, wie es war, sich in die tröstliche Umarmung einer Mutter kuscheln zu können.
Linda lag gerade in der Badewanne, als Karim unvermittelt eintrat. Perveneh knickste und ließ Linda dann hastig mit ihrem Ehemann allein.
„Guten Morgen“, grüßte er barsch. „Wir müssen reden.“
„Ich weiß.“ Linda saß immer noch in dem warmen Wasser, ohne zu wissen, was sie jetzt tun sollte. Er löste das Problem, indem er ihr ein Badetuch hinhielt, sodass sie aus der Wanne kletterte, genau wie an dem Abend im Kastell. Damals war er für sie jedoch ein Fremder gewesen.
Während er sie nun in das Handtuch hüllte, waren sie umfangen von der Stille, die ihnen bewusst machte, dass nichts wirklich ausgelöscht werden konnte, was
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