JULIA SOMMERLIEBE Band 21
sei sie eine Hure.
Nachdenklich sah sie in den Spiegel, als sie Make-up auflegte. Ihre Lippen brauchten jedoch keinerlei Farbe, weil sie von seinen wütenden Küssen noch rot glühten. Und tief in ihren Augen schimmerte das gleiche Leuchten.
Was immer er auch getan und wie immer er sie auch behandelt hatte, lag doch ein Zauber in seiner Leidenschaft, der ihren Puls schneller schlagen ließ. Im Spiegel sah sie ihn. Groß und dunkel stand er da, mit mürrischer Miene. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und ein verhaltenes Lächeln lag um ihren Mund. Doch dann verblasste es, als sie sich an das Wort erinnerte, das er ihr am Abend zuvor entgegengeschleudert hatte.
Tabu!
„Das war eine hübsche Vorstellung eben, nicht wahr?“, murmelte er finster.
„Sie hat ihren Zweck erfüllt. Ich habe mich umgezogen, Karim.“
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. „Beim Propheten, du könntest selbst einen Heiligen verführen.“
„Du bist kein Heiliger, El Khalid.“
Verbissen zog er an seinem Stumpen, während der Rauch einen geheimnisvollen Schleier über seine Augen legte. „Ich muss dich hier behalten, aber es könnte sein, dass ich meine Hände nicht von dir lassen kann.“
Instinktiv legte sie die Hände auf den Rücken und spürte, wie ihre Fingernägel sich in ihre Handflächen bohrten. „Dann ist es das Beste, wenn du mich fortschickst.“
„Wir wissen beide, dass das nicht geht.“
„Warum eigentlich nicht? Es macht dich doch nur wütend, dass ich hier bin.“
„Du weißt, warum es unmöglich ist.“
Ihr Schulterzucken sollte über das hinwegtäuschen, was sie wirklich fühlte … dass jede Faser ihres Körpers danach schrie, mit ihm zusammen zu sein. Sie wollte ihn jeden Tag sehen, wollte wissen, dass er in Reichweite war. Sie wollte, dass er sie liebte, selbst wenn es im Zorn geschah. Wie so viele Frauen schon vor ihr war Linda jetzt bewusst geworden, dass es nicht die Gefühllosigkeit der Männer war, die so wehtat, sondern ihre Gleichgültigkeit. Doch gleichgültig gab sich Scheich El Khalid ihr gegenüber nicht, selbst wenn er sie nicht liebte.
„Ich weiß, was möglich ist“, murmelte sie.
Fragend hob er eine Augenbraue, während er die Zigarre an die Lippen führte.
„Die Leidenschaft, der wir nachgeben, lässt genau das Wirklichkeit werden, was du nicht geschehen lassen willst – nicht mehr, obwohl du mich nur deshalb geheiratet hast.“
Er glitt mit finsterem, dunklem Blick an ihrem Körper auf und ab. „Ich bin mir sicher, dass wir gestern ein Kind gezeugt haben.“
„Kannst du hellsehen, Karim?“
„Das muss ich gar nicht.“ Eindringlich sah er sie an. „Du bist doch musikalisch. Also weißt du, wann du ein Musikstück perfekt gespielt hast.“
Ein Schauer durchfuhr sie. „Manchmal bist du voller Poesie, Karim.“
„Die Wüstenseele trägt die Flamme des Beschützerinstinkts in sich und Mitleid, um die Traurigkeit zu verstehen. Ich bin nicht gänzlich aus Stein, Linda.“
„Ich weiß.“ Ihr Lächeln verriet einen Anflug von Traurigkeit. „Ich war dabei, als wir unsere Musik spielten.“
Sie hörte, wie er schwer einatmete. Dann zog er das goldene Armband aus der Jackentasche und trat zu ihr. Schweigend hielt sie ihm das Handgelenk hin, während er das Armband daran befestigte. Dann nahm er ihre andere Hand und merkte, dass der Verschluss des kleinen Armreifs sich nicht mehr öffnen ließ.
„Ich weiß, dass es dir ganz und gar nicht gefällt, wenn ich es trage“, sagte sie ruhig, „aber es ist alles, was mir von meiner Mutter geblieben ist. Als Kind habe ich natürlich nicht verstehen können, warum sie mich und meinen Vater verlassen hat. Aber jetzt ist mir bewusst geworden, dass sie in dem anderen Mann vermutlich etwas gefunden hat, dem sie nicht widerstehen konnte. Kein Mensch ist ohne Fehler, und ich … ich kann nichts dagegen tun, dass ich mich stets an ihre großen Augen und ihre liebevolle Stimme erinnern werde. Ich kann nicht aufhören, sie zu lieben. Es besteht immer noch eine Verbindung zu ihr. Du fühlst es auch, Karim, obwohl du deine Mutter nie kennengelernt hast.“
Seine Finger schlossen sich um ihr Handgelenk, und für einen Moment hatte sie das Gefühl, er wolle das kleine goldene Herz abreißen. „Für dich ist es unmöglich, die Liebe für eine Mutter aus deinem Herzen zu verbannen, die dich freiwillig verlassen hat. Und für mich ist es unmöglich, den Hass aus meinem Herzen auf diejenigen zu verbannen, die Unglück über die Unschuldigen
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