JULIA SOMMERLIEBE Band 21
konzentrieren, an dem sie besonders wachsam sein musste. Schließlich wollte sie nicht den Eindruck erwecken, eine einsame Ehefrau auf der Suche nach Trost zu sein.
Denn das entsprach nicht der Wahrheit.
Sie zog sich um, legte dezentes Make-up auf und nahm zu guter Letzt ihren goldenen Ehering aus dem Schmuckkästchen. Versonnen streifte sie ihn über ihren Ringfinger. Sie hatte nicht vorgehabt, ihn jemals wieder zu tragen. Doch sein Anblick würde Alan daran erinnern, dass sie eine verheiratete Frau war und dass sie sich mit ihm in rein freundschaftlicher Absicht traf. Für mehr stand sie nicht zur Verfügung.
Zwei Stunden später war ihr klar, dass Alans Ansichten sich im Laufe der Jahre nicht geändert hatten. Der Abend war – trotz der romantischen Atmosphäre und dem guten Essen im Chez Dominique – furchtbar langweilig.
Und etwas verwirrend, denn Alan schien in sentimentaler Stimmung zu sein. Immer wieder brachte er das Gespräch auf ihre Beziehung und ließ sie in der Erinnerung weitaus inniger und bedeutungsvoller erscheinen, als sie tatsächlich gewesen war.
Nachdem der Kellner die Nachspeise gebracht hatte, fragte Alan: „Wohnst du eigentlich bei deiner Cousine, während du in London bist?“
„O nein“, erwiderte Marisa, ohne groß nachzudenken. „Julia wohnt inzwischen in der Nähe von Tonbrigde Wells.“
„Sag nicht, man hat dich ohne einen Aufpasser von der Leine gelassen. Sehr interessant.“
„So ist es nicht.“ Sie tauchte ihren Löffel in ihr süßes Dessert. „Ich denke, Lorenzo“, sie stockte kurz, als sie seinen Namen aussprach, „vertraut mir einfach.“ Oder es in teressiert ihn schlicht nicht, was ich tue …
„Dann hast du sicher eine Suite im Ritz oder einem anderen Fünfsternehotel?“ Alan lachte auf. „Das bist du jetzt ja gewohnt.“
„Da irrst du dich. Ich nutze eine kleine Wohnung.“ Das ist schließlich nicht gelogen, dachte sie. Und im selben Moment wurde ihr bewusst, wie sehr sie sich danach sehnte, endlich dorthin zurückzukehren, statt weiter Alans Fragen beantworten zu müssen. Sie sah auf ihre Uhr. „Himmel, ist es wirklich schon so spät? Ich muss los.“
„Erwartest du noch einen Anruf von deinem Mann?“ Er konnte sich die Spitze nicht verkneifen.
„Nein“, gab sie zurück. „Ich habe morgen sehr früh einen Termin.“ An meinem Schreibtisch im Estrello, um Punkt neun Uhr.
Gleichzeitig spürte sie, dass sie erschauerte. Die Frage, ob sie einen Anruf von Lorenzo erwartete, hatte sie nicht unberührt gelassen. Tatsächlich hatte es Zeiten gegeben, als er sie beinahe täglich angerufen hatte. Doch er war stets mit ihrem Anrufbeantworter abgespeist worden. Irgendwann waren seine Nachrichten zunehmend kürzer und unpersönlicher geworden, und sie hatte sie ebenso rasch gelöscht, wie sie seine Briefe zerrissen hatte.
Eines Abends jedoch hatte seine Stimme nachdrücklich, fast flehend geklungen. „Wenn ich dich morgen anrufe, Marisa, nimm bitte ab. Wir müssen miteinander reden.“ Nach kurzem Zögern hatte er hinzugefügt: „Ich bitte dich.“
Als am nächsten Abend das Telefon geklingelt hatte, hatte sie sich förmlich dazu zwingen müssen, nicht den Hörer abzunehmen. Immer und immer wieder hatte sie sich ermahnt, nicht nachzugeben. Nichts, was er sagen wird, spielt eine Rolle für mich. Ich will nicht mit ihm sprechen.
In der fast greifbaren Stille der folgenden Tage war ihr klar geworden, dass er sich nicht noch einmal melden würde. Das Telefon war stumm geblieben. Ihre Unnachgiebigkeit hatte schließlich zum Erfolg geführt. Doch sie hatte sich gefragt, warum das Gefühl des Triumphes sich nicht einstellen wollte. Bis heute hatte sie sich diese Frage noch nicht beantworten können.
Als nun die Rechnung kam, bot Marisa höflich an, die Hälfte zu übernehmen, aber Alan bestand darauf, sie einzuladen. Gemeinsam verließen sie kurz darauf das Restaurant. Marisa wollte sich umdrehen, um sich von ihm zu verabschieden, doch Alan stand bereits am Straßenrand, um ein Taxi anzuhalten. Sehr aufmerksam von ihm, dachte sie. Doch dass er, als endlich ein Taxi hielt, zu ihr in den Wagen steigen würde, war eine Überraschung.
„Oh … Kann ich dich irgendwo rauslassen?“, fragte sie irritiert.
„Ich hatte gehofft, du würdest mich noch auf einen Kaffee mit hineinbitten oder mir einen Schlummertrunk anbieten“, erwiderte er lächelnd.
Sie erstarrte. „Es ist schon spät …“
„So spät nun auch wieder nicht. Nur kurz … um der alten
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