JULIA SOMMERLIEBE Band 21
gewesen, der ihr nicht noch einmal unterlaufen würde. Sie würde sich zusammenreißen und stark sein – irgendwie.
Und das ist mir gelungen, dachte Marisa nun, auch wenn ich dafür eine bittere Pille schlucken musste.
Abrupt wurde sie aus ihren Grübeleien gerissen, als Corin auftauchte.
„Sie will ihren Anteil an der Galerie“, stieß er verzweifelt hervor. „Sie hält mich für viel zu konventionell und will von jetzt an in der Geschäftsführung mitbestimmen – sie hat vor, ihre eigenen Ideen durchzusetzen, um den Kundenkreis zu erweitern. Das heißt, sie wird jeden Tag mit mir zusammenarbeiten, als sei nichts gewesen.
Das ist unmöglich! Ich würde das nicht ertragen!“ Er ließ sich auf den Bürostuhl sinken. „Ganz abgesehen davon, dass ich diese Ideen noch von früher kenne und weiß, dass sie nichts taugen – nicht in dieser Galerie. Aber ich habe nicht das Geld, um sie auszuzahlen“, fügte er niedergeschlagen hinzu. „Also werde ich verkaufen und irgendwo anders neu anfangen müssen – vielleicht außerhalb Londons, wo die Mieten nicht so hoch sind.“
Marisa reichte ihm eine Tasse Kaffee, die sie geholt hatte. „Könntest du nicht versuchen, einen Investor zu finden, der sich einkauft und deine Frau auszahlt?“
Er verzog das Gesicht. „Wenn das so einfach wäre! Die Zeiten sind hart. Niemand steckt sein Geld in Luxusobjekte wie dieses. Ich glaube nicht, dass ich jemanden finden werde, der sich für die Galerie interessiert. Außerdem würde er einen entsprechenden Gewinn erwarten, und das Estrello wirft nicht genügend ab.“ Mutlos nahm er einen Schluck Kaffee. „Heute Abend schließe ich früher“, sagte er und sah sie erwartungsvoll an. „Hast du Lust, mit mir essen zu gehen?“
Tut mir leid, Corin, aber ich bin nicht in der Stimmung, mir deinen Kummer anzuhören und dich zu trösten – oder was auch immer du vorhast. Du bist ein netter Typ, aber wir haben eine rein berufliche Beziehung. Das reicht. Ich habe selbst genügend Probleme, mit denen ich klarkom men muss.
Sie räusperte sich. „Tut mir leid, Corin, aber ich bin schon verabredet.“
Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, sich mit Alan zu treffen. Doch jetzt erschien es ihr reizvoller, als allein zu Hause zu sitzen und über die Vergangenheit nachzudenken.
Zurückzublicken ist etwas für Verlierer, sagte sie sich kämpferisch, ab jetzt werde ich in die Zukunft sehen – und in die Freiheit.
3. KAPITEL
Noch während Marisa sich für das Dinner mit Alan umzog, war ihr Mut verflogen, und sie fragte sich, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Seltsam, dass diese Verabredung zum Essen sie völlig kaltließ, obwohl sie vor noch nicht einmal einem Jahr überlegt hatte, mit Alan durchzubrennen, um der Heirat mit Lorenzo zu entgehen.
Noch konnte sie absagen, schließlich hatte sie nicht versprochen, heute Abend zu kommen.
Andererseits erschien ihr die Vorstellung, einen weiteren Abend allein vor dem Fernseher zu verbringen, wenig reizvoll.
Obwohl ich allein doch eigentlich ganz gut klarkomme, dachte sie seufzend.
Bis jetzt hatte sie es als Geschenk empfunden, zum ersten Mal eine eigene Wohnung zu haben, eine Möglichkeit, ihr Leben ohne Rücksicht auf andere gestalten zu können. Zugegeben, ihr Zuhause war nicht gerade groß, aber es war ihr eigenes kleines Reich.
Und das Großartigste ist, dass ich hier niemandem Rechenschaft ablegen muss, sagte sie sich immer wieder.
Natürlich gab es auch eine Kehrseite: Bisher verdiente sie nicht genug, um die Miete selbst zu bezahlen. Das erledigte eine Anwaltskanzlei im Auftrag ihres Mannes.
Nach der Trennung würde sie sich die Wohnung nicht mehr leisten können.
Ihr Leben würde sich in vielerlei Hinsicht ändern, wenn die Scheidung erst rechtskräftig war. Aber nicht alle Veränderungen mussten negativ sein. Entgegen Julias abschätziger Behauptung war ihr Schulabschluss hervorragend gewesen. Im Nachhinein verstand sie selbst nicht mehr, warum sie damals nicht mehr aus ihren Talenten gemacht hatte.
Wie dumm ich war, dachte sie und schüttelte über ihre Blauäugigkeit den Kopf.
Aber es war noch nicht zu spät. Vielleicht konnte sie ein Stipendium bekommen oder einen Studienkredit, um an die Universität zu gehen. Eventuell steht mir nach einem Jahr Ehe sogar Geld von Lorenzo zu, überlegte sie und verzog den Mund, denn die Vorstellung, weiterhin von ihm abhängig zu sein, widerstrebte ihr.
Doch jetzt galt es erst einmal, sich auf den heutigen Abend zu
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