JULIA SOMMERLIEBE Band 21
wäre.
Doch anscheinend habe ich mich gründlich geirrt, dachte sie aufgebracht. So einfach war das Leben nicht.
Erst jetzt – viel zu spät – wurde ihr klar, dass sie nie frei gewesen war. Die ganze Zeit über war sie mit einem unsichtbaren Band an Lorenzo gefesselt gewesen. An jenem Augusttag hatte sie ihm in der sonnendurchfluteten Kirche ihr Wort gegeben. Und nun war er hier, um sie daran zu erinnern, ihr Versprechen zu halten.
Und einen kleinen Teil dessen zurückzuzahlen, was sie ihm und den Santangelis schuldete – auf die ihr einzig mögliche Art und Weise.
Bei diesem Gedanken erschauderte sie.
Selbstverständlich kann ich mich weigern, mit ihm nach Italien zurückzukehren, überlegte sie. Schließlich würde er sie wohl kaum mit Gewalt dazu zwingen. Doch selbst wenn sie weiterhin getrennt lebten, hatte sie keine Chance, diese Ehe für ungültig erklären zu lassen – das war ihr mittlerweile klar. Er hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er sie niemals gehen lassen würde.
Oder sie konnte Julias widerwärtigen Ratschlag befolgen und Lorenzos Begehren nachgeben, bis sie ihm einen Sohn geschenkt hätte. Wenn sie diese Aufgabe erst mal erfüllt hätte, würde er sie vermutlich in Ruhe lassen, und sie könnte sich ein eigenes Leben aufbauen und ihren Interessen nachgehen. Vielleicht könnte sie sogar glücklich werden.
Gedankenversunken trug sie das Bettzeug ins Wohnzimmer – und blieb jäh auf der Türschwelle stehen. Lorenzo hatte gerade sein Hemd ausgezogen und auf einen Sessel geworfen und war jetzt dabei, lässig den Gürtel seiner Hose zu öffnen.
„Ich würde es begrüßen, wenn du dich im Bad und nicht vor meinen Augen ausziehen würdest“, erklärte Marisa frostig.
„Und ich würde es begrüßen, wenn du endlich der Tatsache ins Auge blicken würdest, dass du einen Ehemann hast, mia bella “, gab er im gleichen Tonfall zurück. Dabei musterte er sie von Kopf bis Fuß. Sein Blick blieb an der Knopfleiste ihres Kleides hängen. „Also, ich hätte nichts dagegen, wenn du dich vor mir ausziehen würdest“, brummte er.
„Eher friert die Hölle zu“, stieß Marisa hervor. Sie ließ das Bettzeug auf den Boden fallen und verließ gemessenen Schrittes den Raum.
Erst im Schlafzimmer verließ ihre Selbstbeherrschung sie. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen. Ihr Atem ging so schnell, als wäre sie gerannt.
Warum gibt es keinen Schlüssel für diese verdammte Tür?, dachte sie wütend. Dann hätte sie sich etwas sicherer gefühlt.
Doch damit hätte sie sich nur was vorgemacht. Denn kein Türschloss dieser Welt konnte Lorenzo Santangeli davon abhalten, sich zu nehmen, was er wollte.
Stattdessen musste sie erkennen, dass es nur seine Gleichgültigkeit war, der sie es zu verdanken hatte, heute Nacht in Ruhe gelassen zu werden.
Warum nur gefiel dieser Gedanke ihr nicht?
4. KAPITEL
Missmutig stellte Lorenzo fest, dass das Sofa längst nicht so bequem war, wie es aussah.
Doch vermutlich hätte er selbst im gemütlichsten und breitesten Bett keinen Schlaf gefunden.
Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen lag er auf der Couch. Durch den leichten Stoff der Vorhänge fiel bereits das fahle Morgenlicht, während Lorenzos Gedanken um die immer gleichen Fragen kreisten.
Selbstverständlich hatte er gewusst, dass in London keine entgegenkommende, willige Braut auf ihn warten würde. Doch dass sie ihm so unversöhnlich und schroff gegenübertreten würde, hatte ihn überrascht. Insgeheim hatte er sogar die Hoffnung gehegt, die Trennung könnte Marisa umgänglicher und weniger ablehnend werden lassen.
Aber dieses erste Wiedersehen ist gründlich schiefgegangen, dachte er. Offensichtlich hatte sie nicht vor, ihm zu verzeihen, und somit waren all seine Pläne, einen Neuanfang mit ihr zu wagen, scheinbar hinfällig.
Die einfachste Lösung des Problems war es zweifellos, der Annullierung der Ehe zuzustimmen und London zu verlassen. Er sollte einfach akzeptieren, dass ihre Ehe nie eine Chance gehabt hatte, glücklich zu werden.
Die Tage vor der Hochzeit waren unwirklich gewesen. Wann immer er sich Marisa genähert hatte, war sie geflohen. Und wenn sie gezwungen gewesen war zu bleiben, hatte sie nur etwas gesagt, wenn sie direkt angesprochen worden war.
Mit einer Ausnahme. Auf dem Geburtstagsdinner hatte er für den Bruchteil einer Sekunde bemerkt, wie sie ihn angesehen hatte. In ihrem Blick hatte er einen Ausdruck erkannt, der keinen Zweifel an ihren Gefühlen gelassen
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