JULIA SOMMERLIEBE Band 21
einziges Mal versucht, mich zu küssen – und glaub mir, das war mir sehr recht! Und nur weil deine Freunde und Verwandten zuschauen und es erwarten, meinst du, den liebenden Bräutigam spielen und einen Kuss fordern zu müssen? Du wolltest nur erreichen, dass sie unsere Hochzeit für echt halten. Doch das ist sie nicht. Unsere Ehe ist ein Geschäft, das keiner von uns beiden wollte.“ Sie hatte den Kopf geschüttelt. „Tut mir leid – ich spiele da nicht mit, nur um den Schein zu wahren. Und du wirst mich nicht dazu zwingen.“
Lorenzo hatte sie schweigend angesehen, bevor er mit eisiger Stimme gefragt hatte: „Ich nehme an, du bist fertig?“
Sie hatte knapp genickt, ehe sie sich abgewandt und aus dem Wagenfenster geblickt hatte.
Doch das war noch lange nicht das Ende gewesen, dachte er, als er nun die Decke höher zog und sich auf die Seite drehte. Es war erst der Anfang einer Reihe von Geschehnissen gewesen, die auch jetzt noch Einfluss auf ihr Leben hatten. Gott allein wusste, wie es enden würde.
Marisa fühlte sich, als hätte sie einen riesigen Kloß im Magen.
Sie zog sich die Decke über den Kopf, um den stetig fließenden Londoner Verkehr, dessen Lärm durch das geöffnete Fenster drang, nicht mehr zu hören – als wäre dieses Geräusch der einzige Grund, weshalb sie nicht schlafen konnte.
Lorenzos unerwartetes Auftauchen hatte sie aufgewühlt, und ihre Gedanken kreisten fortwährend um jedes Wort, das er an diesem Abend gesagt hatte.
Besonders um diese unglaubliche Behauptung, sie wären beide schuld am Scheitern ihrer Ehe.
O nein, sie hatte sich doch nichts vorzuwerfen. Er allein trug die Verantwortung. Immer wieder hatte sie sich das eingeredet, es seit jener albtraumhaften Hochzeitsreise jede Nacht wiederholt. Es war ihre feste Überzeugung gewesen.
Doch plötzlich war sie nicht mehr so sicher.
Sie hätte ihm den Kuss vor dem Altar nicht verweigern dürfen, und das wusste sie auch. Wenn sie ehrlich war, hatte sie es immer gewusst. Sie hätte es einfach über sich ergehen lassen sollen. Und wenn sie seinen Kuss nicht erwidert hätte, dann hätte sie ihm damit deutlich gezeigt, was sie von der Ehe hielt – aber eben nur ihm. Niemand sonst hätte je davon erfahren.
Vor allem nicht Julia.
„Bist du vollkommen übergeschnappt?“, hatte ihre Cousine sie nach der Trauzeremonie angefahren. „Lorenzo muss schäumen vor Wut. Wenn du einen guten Rat willst: Heute Nacht solltest du den Mund halten, tun, was er von dir verlangt, und hoffen, dass du schwanger wirst. Du bist es ihm schuldig. Also tu einfach deine Pflicht.“
„Vielen Dank, dass du mich daran erinnerst. Das wäre nicht nötig gewesen“, hatte Marisa trotzig entgegnet.
Wenn Julia sich zurückgehalten hätte, wäre sie zu Lorenzo gegangen, um sich für ihr Benehmen zu entschuldigen – doch nach Julias Auftritt hatte sie nicht mehr daran gedacht.
Seither hatte es zwischen Lorenzo und ihr keine Versöhnung gegeben. Nicht einmal auf der Hochzeitsreise in ein malerisches Örtchen nahe Amalfi. Damals waren sie zum ersten Mal seit seinem Heiratsantrag allein gewesen, und der Gedanke hatte sie erschreckt.
Marisa starrte in die Dunkelheit und blickte zurück …
Als Marisa und Lorenzo nach der Trauung auf der auto strada Richtung Süden gefahren waren, hatte sie kurz da ran denken müssen, dass sie zum ersten Mal seine Beifahrerin war – ein weiteres erstes Mal von vielen.
Versonnen beobachtete sie, wie er den kleinen Sportwagen lässig in der Spur hielt. Mit einem Mal erinnerte sie sich an einen Artikel, den sie in einem Magazin gelesen hatte. Dort hatte gestanden, dass man die sexuellen Fähigkeiten eines Mannes an seinem Fahrstil erkannte.
Sie betrachtete seine Hände, die das Lenkrad umschlossen, und fragte sich unwillkürlich, wie es sich anfühlen mochte, wenn seine Finger ihre Haut streichelten. Ein leichtes Kribbeln breitete sich in ihrem Körper aus. Schnell rief sie sich Julias Worte wieder ins Gedächtnis und beschloss, sich besser auf die atemberaubende Landschaft zu konzentrieren.
Als das Schweigen zwischen ihnen langsam unangenehm wurde, rang sie sich dazu durch, eine Unterhaltung zu beginnen. „Die Villa … ist sie direkt in Amalfi?“
„Nein, in einem kleinen Dorf an der Küste.“
Sein Ton war keineswegs ermunternd, doch sie gab nicht auf.
„Es ist sehr nett von deinem Onkel, uns sein Ferienhaus zu überlassen.“
Lorenzo zuckte unwillig die Achseln. „Es ist abgeschieden und bietet einen
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