JULIA SOMMERLIEBE Band 21
zusammen mit diesem Langford von der Galerie anzutreffen – doch darauf, ihrer alten Jugendliebe gegenüberzustehen, war er nicht gefasst gewesen.
Marisa war die Situation anscheinend nicht einmal peinlich gewesen. Sie hatte offensichtlich kein schlechtes Gewissen gehabt, vor ihrem Ehemann in Begleitung eines anderen zu erscheinen.
Aber schließlich war in ihren Augen Angriff schon immer die beste Verteidigung, dachte er grimmig und rief sich den Hochzeitstag in Erinnerung.
Bisher war er immer davon ausgegangen, dass ihre Probleme an jenem Tag begonnen hatten. Doch während er sich nun unruhig auf dem unbequemen Sofa hin und her wälzte, fragte er sich, ob die Probleme nicht von Anfang an da gewesen waren. Schon in dem Moment, als er um ihre Hand angehalten hatte, war ihre Ablehnung fast greifbar gewesen, und er hatte geahnt, dass kein Entgegenkommen von ihrer Seite zu erwarten war.
Die Glocken, die feierlich zum Auszug aus der Kirche geläutet hatten, erschienen ihm in der Erinnerung wie Totenglocken, mit deren Klang seine Hoffnung zu Grabe getragen worden war …
Marisa war ihm so schutzlos vorgekommen, als sie neben ihm zum Altar geschritten war.
Sie hatte so jung und liebenswert ausgesehen, dass sein Herz bei ihrem Anblick vor Freude schneller geschlagen hatte – bis er in ihr blasses, regungsloses Gesicht unter dem Schleier geblickt hatte.
Seine Vorfreude hatte sich augenblicklich in Mitleid gewandelt, und erneut nahm er sich vor, geduldig zu sein und sie zu nichts zu zwingen, sondern ihr alle Zeit zu geben, die sie brauchte, um sich an die neuen Umstände zu gewöhnen.
Als er ihr den goldenen Ring an den Finger steckte, spürte er ihr Zittern. Beruhigend drückte er ihre Hand, doch Marisa reagierte nicht.
Der Pfarrer sprach den Segen, und Lorenzo hob langsam den Brautschleier, um seine schöne Frau zu küssen.
Aber sie hielt den Blick zu Boden gesenkt. Ihre langen Wimpern lagen auf der zarten Haut ihrer Wangen, und ihr schlanker Körper war starr, ablehnend.
Er beugte sich zu ihr herunter, um ihre bebenden Lippen zu küssen – ganz sanft nur, um ihr zu versichern, dass er Wort halten würde und sie nichts von ihm zu befürchten hätte, wenn sie heute Nacht allein wären.
Doch noch ehe seine Lippen ihren Mund berühren konnten, hob sie unvermittelt den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde traf ihn ein Blick, in dem all ihre Verachtung lag, bevor sie sich dann so abrupt abwandte, dass sein Mund ihre Wange streifte und im Tüll ihres Schleiers und ihrem duftenden Haar landete.
Der Pfarrer sog hörbar die Luft ein, und durch die Kirche ging ein Raunen angesichts dieser offenen Zurückweisung. Lorenzo fühlte eine Welle aus Wut und Scham in sich aufsteigen, als ihm bewusst wurde, dass keinem der Hochzeitsgäste die brüske Ablehnung seiner Braut entgangen war. Sie hatte ihn lächerlich gemacht.
Es gelang ihm, Haltung zu bewahren, als er schließlich, Marisas Hand kaum spürbar auf seinem Arm, durch das Kirchenschiff schritt. Er setzte ein Lächeln auf, auch wenn er sich der teils schockierten, teils schadenfrohen Blicke bewusst war.
Der Wunsch nach Zärtlichkeit war ihm gründlich vergangen. Jetzt hatte er nur noch das Bedürfnis, seine Braut für ihr Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen.
Aber erst einmal stand ihm das traditionelle Hochzeitsfrühstück bevor, das auf dem Marktplatz stattfand. Zu diesem Anlass versammelte sich der ganze Ort, um den Marchese und seine glückliche Braut in Augenschein zu nehmen. Das Paar würde Glückwünsche, Umarmungen und Reden über sich ergehen lassen müssen, und dann würde man von den beiden erwarten, dass sie den Tanz eröffneten.
Bei dem Gedanken daran spürte Lorenzo bittere Wut in sich aufsteigen. Wie würde Marisa reagieren? Ob sie ihn wegstieß? Oder ob sie absichtlich auf seinen Fuß trat? Nach der Demütigung in der Kirche rechnete er mit dem Schlimmsten.
Aber zu seiner Überraschung hatte sie alles mit erstaunlicher Gelassenheit ertragen – allerdings vermutete Lorenzo, dass sie das einzige frischgebackene Ehepaar waren, das in den Stunden nach der Trauung nicht ein einziges Wort gewechselt hatte …
Einige Zeit später hatte eine weiße Limousine sie dann nach Hause gebracht, damit sie sich für die Hochzeitsreise umkleiden konnten. Und erst im Wagen hatte Lorenzo das Schweigen gebrochen.
„Wie konntest du es wagen, mich so bloßzustellen? Mir den ersten Kuss zu verweigern!“
„Genau das ist der springende Punkt. Vorher hast du nicht ein
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