JULIA SOMMERLIEBE Band 21
nur Mittel zum Zweck.
Er würde seinen Spaß mit ihr haben und sie diskret ausmustern, sobald sie ihre Pflicht erfüllt hatte.
Wenn sie ihm einen Sohn geschenkt hatte.
Sie hatte sich vorgenommen, ihre Beziehung genauso zu betrachten. Und deshalb war sie nicht darauf vorbereitet gewesen, dass er sich verhielt, als würde er sie begehren …
Oder war das nur eine Art Reflex? Egal, um welche Frau es sich handelte?
Das ist wohl die wahrscheinlichste Erklärung, gestand sie sich seufzend ein.
Einen Moment lang betrachtete sie sich in dem schmalen, hohen Spiegel in ihrem Zimmer, sah die Silhouette ihres Körpers, die sich unter dem dünnen Stoff des Nachthemdes abzeichnete. Ihre langen, schlanken Beine erschienen ihr zu dünn und ihre Nase viel zu spitz.
„Storch“ hatte Lorenzo sie früher genannt, und so fühlte sie sich noch immer. Natürlich konnte ein erfahrener und perfekter Mann wie Lorenzo sie nicht lieben.
Sie wandte sich ab und ging langsam und traurig zum Bett zurück. Obwohl die Nachtluft noch warm war, fröstelte sie.
Sie erwischte sich dabei, dass sie in die Dunkelheit hinein auf seine Schritte lauschte, die ihr ankündigten, dass er zurückkehrte – obwohl sie wusste, dass er nicht zurückkommen würde.
Stundenlang lag sie wach, und immer wieder kreisten ihre Gedanken um die verwirrenden Geschehnisse des Tages – ihres Hochzeitstages. Erst gegen Morgen fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
Am späten Vormittag erwachte sie.
Daniella stand mit frischem Kaffee auf einem Tablett vor ihrem Bett und betrachtete die Braut von Signor Lorenzo mit unverhohlener Neugier.
Sie fragt sich wahrscheinlich, wie es mir in der Hochzeitsnacht ergangen ist, schoss es Marisa durch den Kopf. Sie stellte fest, dass ihr Bettzeug vom rastlosen Herumwälzen so zerwühlt war, dass es durchaus so aussah, als hätte sie die Nacht nicht allein verbracht.
Mein Gott, dachte sie und nahm einen Schluck Kaffee, wenn Daniella wüsste …
Doch glücklicherweise ahnte niemand, wie tragisch die ersten vierundzwanzig Stunden ihrer Ehe mit Lorenzo verlaufen waren.
Daniella sprach nicht gut Englisch. Aber es gelang Marisa, das Mädchen davon zu überzeugen, dass sie sich durchaus selbst ein Bad einlassen und ihre Kleidung für den Tag auswählen konnte. Nachdem Daniella sie darüber informiert hatte, dass der Frühstückstisch auf der hinteren Terrasse gedeckt sei, war Marisa endlich allein.
Sie musste nachdenken.
Ehe sie eingeschlafen war, hatte sie noch einige Entscheidungen getroffen, die ihr auch bei Tageslicht recht brauchbar erschienen.
Zunächst einmal musste sie sich unverzüglich bei Lorenzo entschuldigen und versuchen, ihm ihr Verhalten am Altar zu erklären.
Das wird nicht leicht, dachte sie, während sie nachdenklich an dem heißen, belebenden Kaffee nippte. Denn wenn sie ihm einfach erzählte, dass sie Angst vor diesem ersten Kuss gehabt habe, würde er den Grund wissen wollen.
Sie konnte ihm kaum die Wahrheit sagen. Dass sie befürchtete, ihm nicht widerstehen zu können, wenn er erst einmal das Feuer der Begierde in ihr entfacht hatte. Und dass sie Angst hatte, verletzt zu werden.
Als junges Mädchen hatte sie ihm schon einmal ihre Gefühle gestanden und war gedemütigt worden. Das sollte ihr nicht noch mal passieren – deshalb war sie vorsichtig.
Ich muss ihn davon überzeugen, dass ich nur aufgeregt war und mich nun beruhigt habe.
Und dann galt es, die nächste Hürde zu nehmen und ihre Ehe auf ein möglichst stabiles Fundament zu stellen. Das war unausweichlich.
Sie stellte die leere Tasse auf den Nachttisch und schlang die Arme um ihre Knie. Wie sollte sie ihm beibringen, dass sie bereit war, ihren Teil der Vereinbarung zu erfüllen, und ihm gleichzeitig klarmachen, dass jeder körperliche Kontakt nur eine Vertragserfüllung war und keineswegs der Beginn einer … Liebesbeziehung?
Vermutlich hatte er daran auch gar kein Interesse, denn sein Liebesleben war, wenn man Julia glauben durfte, bereits sehr erfüllt. Wie war noch der Name seiner Geliebten? Lucia. Lucia Gallo.
Beherzt schob Marisa die Bettdecke zur Seite und stand auf, bereit, sich Lorenzo zu stellen.
Bisher hatte sie ihrer Garderobe keine große Bedeutung beigemessen, doch heute Morgen wollte sie besonders gut aussehen. Sorgfältig machte sie sich zurecht und ging dann hinunter.
Sie hatte erwartet, dass Lorenzo am Frühstückstisch auf sie warten würde. Aber als sie auf die Terrasse trat, entdeckte sie, dass der Tisch unter der von Wein
Weitere Kostenlose Bücher