JULIA SOMMERLIEBE Band 21
Hand in die andere. Um ruhiger zu werden, bemühte sie sich, wenigstens den Anschein eines professionellen Auftretens zu erwecken.
Immerhin hatte sie einen guten Ruf zu verteidigen. Als Vertreterin der Immobiliengesellschaft Marvel-Mitchell Realties sollte sie hier ein entscheidendes Grundstücksgeschäft unter Dach und Fach bringen. Von ihrem Erfolg hing eine Menge ab. Es ging nicht nur um Geld. Das künftige Glück der Menschen, die sie liebte, stand auf dem Spiel.
Allerdings hatte es ihre Stimmung nicht verbessert, dass die Überfahrt von der Coromandel-Landzunge auf diese Insel wegen des starken Seegangs doppelt so lange gedauert hatte wie üblich. Nach einer überstürzten dreistündigen Autofahrt von Auckland am vergangenen Abend und einer schlaflosen Nacht in einem unbequemen Motelbett war ihr die stürmische Begegnung mit dem Pazifischen Ozean nicht gut bekommen.
Da ihr Ziel die Privatinsel eines Millionärs war, hatte Vivian – naiv, wie sie jetzt wusste – angenommen, von einer luxuriösen Barkasse oder einem Tragflächenboot abgeholt zu werden. Niemals wäre ihr in den Sinn gekommen, dass diese alte, hässliche Nussschale, zu der man sie in Port Charles geführt hatte, für ihre Beförderung sorgen sollte. Außerdem hatte sie gedacht, die Insel sei ein üppig bewachsener Zufluchtsort mit wunderschönen weißen Sandstränden und einer blühenden Vegetation. Stattdessen handelte es sich um einen windigen, heftig umtosten Felsen mitten im Nichts. Wobei mir der Name ein Hinweis hätte sein müssen, dachte sie trocken.
Nowhere – Nirgendwo. Sie hatte es für originell gehalten. Nun erst erkannte sie, wie aussagekräftig der Name tatsächlich war!
Was für ein Mann war das, der jemanden den ganzen Weg bis hierher auf diese Insel anreisen ließ? Und das nur, um ein Geschäft abzuschließen, das man besser und vor allem sicherer im Büro in der Stadt hätte besiegeln können? Leider kannte sie die Antwort auf diese Frage nur zu genau: Ihr Vertragspartner war darauf aus, für Schwierigkeiten zu sorgen. Ein skrupelloser Mann, dem ein einfacher Sieg nicht reichte. Niemals würde er sich davon in seinem Zorn besänftigen lassen. Wenn sie seine Pläne durchkreuzen wollte, würde sie sein Spiel zuerst mitspielen müssen.
Vivian durchquerte ein vom stetigen, scharf pfeifenden Wind geformtes Wäldchen mit niedrigen, trockenen Sträuchern und blieb wie angewurzelt stehen. Schockiert sah sie sich um.
Jenseits eines schmalen Bergkamms, am Ende einer flachen, felsigen Landzunge, stand ein Leuchtturm. Wenn sie nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wäre, jämmerlich über der Reling des Bootes zu hängen und mit der Übelkeit zu kämpfen, hätte sie den hohen weißen Turm auf der Fahrt zur Insel sicherlich gesehen.
Entmutigt streifte ihr Blick den breiten Betonsockel und wanderte hinauf, vorbei an den vier winzigen übereinander angebrachten Fenstern bis zu dem offenen Balkon direkt unter den großen, rautenförmig angeordneten Glasscheiben, die das Leuchtfeuer beherbergten. Wie viele Stufen musste man wohl erklimmen, um dort hinaufzukommen?
Entsetzt richtete sie die Augen wieder nach vorne. Ihr Bedarf an ungeahnten Höhen war für heute gedeckt. Doch da entdeckte sie ein niedriges, weiß gestrichenes Gebäude, das an den Turm angrenzte. Das Haus des Leuchtturmwärters. Grenzenlose Erleichterung durchflutete sie mit einem Mal.
Sie riss sich zusammen. Lass nicht deine Fantasie mit dir durchgehen, Vivian, rief sie sich zur Ordnung. Alle neuseeländischen Leuchttürme waren inzwischen automatisiert worden. Vielleicht war er sogar stillgelegt? Es gab keinen Grund hinaufzusteigen. Aber warum machte sie sich darüber überhaupt Gedanken? Leuchttürme gin gen sie nichts an. Sie war wegen des Mannes in dem net ten, gewöhnlichen und vor allem niedrigen Gebäude hier, das daneben stand.
Der schmale Pfad über den engen Bergkamm war auf beiden Seiten mit einem weißen Palisadenzaun versehen, der ihr zumindest entfernt das Gefühl von Sicherheit vermittelte. Denn links und rechts davon toste das aufgewühlte Meer schäumend an die Felsen. Heftig pfiff der Wind über den steilen, steinigen Abhang hinauf und zerrte ungestüm an ihren Haaren und an ihrer Kleidung.
Vivian fasste sich ein Herz, schulterte ihre Aktentasche und marschierte los. Mit der freien Hand berührte sie jede einzelne Palisade und zählte sie ab. So konnte sie sich davon ablenken, dass zu beiden Seiten des Zauns der Abgrund wartete. Mit jeder Windbö,
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