JULIA SOMMERLIEBE Band 21
Auckland und zurück fliegen können.
Missmutig beobachtete sie den ersten Passagier. Ein blonder Hüne, der Jeans und eine Schaffelljacke trug, trat beiseite und machte respektvoll den Weg frei für einen Herrn im dunkelblauen Anzug.
Vivian betrachtete den dunkelhaarigen Mann genau, für den sie den Weg hierher auf sich genommen hatte. Selbst vornübergebeugt wirkte er groß. Er war schlank und sah sportlich aus. Als er einen Blick zum Haus warf, erkannte sie sein Gesicht, das hart und rau wirkte. Doch plötzlich lachte er über eine Bemerkung seines Begleiters und ihr Herz hüpfte hoffnungsvoll. Von einem Moment zum anderen fiel die Grimmigkeit von ihm ab und er sah vernünftig und zivilisiert aus. Dem muskulösen Blonden, der seine Schritte mit katzenhafter Wachsamkeit platzierte, war seine Funktion als Leibwächter geradezu ins Gesicht geschrieben. Jetzt verschwanden sie hinter dem Haus. Vivian drehte sich zur Tür, die Hände nervös hinter ihrem Rücken ineinander gelegt. Nach einer quälend langen Zeit wurde die schwere Holztür endlich geöffnet.
Vivian verkniff sich eine bissige Bemerkung, als sie sah, dass nur der lässig gekleidete Hüne den Raum betrat. Noch eine minutiös geplante Verzögerung, dachte sie schnippisch. Zweifellos, um sie weiter zu verunsichern. Oder sollte der Bodyguard sie nach versteckten Waffen abtasten?
Blitzschnell sah sie ihm ins Gesicht. Ihr stockte der Atem. Eine dünne Narbe lief von seinem Haaransatz hinab über einen hohen Wangenknochen fast bis zum Nasenflügel. Sein linkes Auge wurde von einer schwarzen Augenklappe verdeckt. Verlegen ließ Vivian den Blick rasch sinken. Er sollte nicht denken, sie starrte ihn an.
Sein Mund war schmal und sein Gesicht kantig und tief gebräunt. Das dichte, dunkelblonde Haar, von sonnengebleichten goldenen Strähnen durchzogen, wirkte so, als habe er es achtlos mit seinen Fingern nach hinten aus der vernarbten Stirn gestrichen und der Wind habe dieser verwegenen Frisur noch etwas nachgeholfen. Er hatte den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen, um sich vor der Kälte zu schützen. Dunklere Schattierungen an Kinn und Wangen verrieten, dass er sich mindestens einen Tag lang nicht rasiert hatte. Die Augenklappe und seine lange Narbe verliehen ihm eine tollkühne Attraktivität.
Ohne ein Wort streifte er die hüftlange dicke Jacke ab und sie erkannte, dass der erste Eindruck täuschte. Er war nicht so kräftig gebaut, wie sie anfänglich angenommen hatte. Wenngleich sein weinroter Rollkragenpullover breite Schultern umspannte, hatte er eine schmale Taille und Hüften, an denen kein überflüssiges Gramm Fett auszumachen war. Seine langen Beine waren so muskulös, dass die ausgeblichenen Jeans eng an den Oberschenkeln lagen. Als er seine schwere Jacke so mühelos durch das halbe Zimmer warf, dass sie auf der Rückenlehne der Couch landete, erhaschte sie einen Blick auf seine Hände. Es waren kräftige und doch sensible Hände. Fähig, jemanden zu verletzen … oder zu heilen, dachte sie, selbst erstaunt über den merkwürdigen Gedanken, der ihr durch den Kopf geschossen war.
Er lehnte sich gegen die Tür, die durch sein Gewicht leise ins Schloss fiel, winkelte sein Bein an und stützte die Sohle seines abgewetzten Lederstiefels an die Wand. Langsam verschränkte er die Arme über der breiten Brust. Vivian zwang sich, ihren Blick zu heben. So konnte sie feststellen, dass nicht nur sie ihr Gegenüber prüfend begutachtet hatte. Mit seinem gesunden Auge studierte er sie, ohne zu blinzeln.
Wieder ein Mann, der auf die gängige Weise über die weibliche Schönheit urteilte, dachte sie. Sie machte sich nichts vor. Sie kannte ihre eigenen Mängel nur zu genau, und es waren nicht wenige. Um sie daran zu erinnern, brauchte sie seine verblüffte Miene sicher nicht. Sie entsprach nicht im Entferntesten dem Ideal der blonden, kühlen Schönheit. Ihr Haar glühte kupferrot, ihre Augen waren von einem intensiven Flaschengrün, das kaum durch die Gläser ihrer runden Brille abgemildert wurde. Und die unzähligen rötlichen Sommersprossen verdeckten beinahe komplett ihre weiche weiße Haut.
Vivian hob die linke Hand, um ihre Lockenmähne zu bändigen. Zögernd lächelte sie ihn an, doch als er nicht reagierte, errötete sie. Eine kleine, mit Sommersprossen übersäte Falte erschien genau über der goldenen Brücke ihrer Brille, die sie unnötigerweise auf ihrer geraden Nase zurecht rückte. Nun, wenn er es so wollte – sie konnte auch anders. Kühl warf sie
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