JULIA SOMMERLIEBE Band 21
versehentlichen Berührung einer defekten Steckdose erlebt hatte. Tatsächlich schien die Luft um ihn herum zu knistern. Ihr war, als brodele in seinem Inneren eine enorme Energiequelle, die kaum zu bändigen war.
Er ließ sie los. Verstohlen rieb sie ihre Finger. Die goldenen Sprenkel in seinem Auge drückten eine seltsame Zufriedenheit aus. Wenn er glaubte, er könne sie entmutigen, hatte er sich getäuscht. Halsstarrig blieb sie dort stehen, wo sie war. Sie wich nicht vor ihm zurück.
Entschlossen hob sie ihr Kinn. Sie würde sich nicht von seiner überragenden Größe und Stärke einschüchtern lassen oder von dem beunruhigenden Summen, das ihren eigenen Körper erfasst hatte. Es war, als würden sie einen stummen Kampf gegeneinander führen.
Zu ihrer Überraschung beendete er als Erster dieses stille Duell. Er drehte sich um, ließ sich auf dem Stuhl vor dem Pult nieder und streckte seine langen Beine von sich. Ihr bot er keine Sitzgelegenheit an. Er lehnte sich lediglich zurück und betrachtete sie mit einem undefinierbaren, besitzergreifenden Blick.
Vivian spürte, wie ihre Wangen erröteten und kribbelten. Erneut rückte sie ihre Brille zurecht.
Sein schmaler Mund verzog sich zu einem grausamen Lächeln. „Sollen wir dann zum Geschäftlichen übergehen, Miss Mitchell? Ich nehme an, Sie sind den Vorgaben, die Sie per Fax erhalten haben, gefolgt?“
Sie dachte an die angespannte Autofahrt hierher, an die nervenaufreibenden Stunden, die sie alleine in dem Motel verbracht hatte, an das heftig schaukelnde Boot … und an seinen Hubschrauber. Sie biss die Zähne zusammen und nickte.
„Was für ein Wunder – eine gehorsame Frau“, zog er sie zynisch auf.
Vivians Gesicht glühte förmlich, als sie versuchte, ihren Zorn zurückzuhalten.
„Sie wissen, dass der erfolgreiche Verkauf meines Landes an Ihr Unternehmen davon abhängt, dass Sie auf all meine Wünsche eingehen. Und deshalb haben Sie natürlich auch die Anweisungen in dem Brief befolgt, nicht wahr, Miss Mitchell?“
Dieses Mal würde sie nicht kneifen. Sie straffte die Schultern. „Nein. Das heißt, nicht vollständig …“
„Nicht vollständig ? Jetzt überraschen Sie mich doch sehr, Miss Wunderbar.“
Vivian konnte nicht anders. Sie verlor die Geduld und fauchte ihn an: „Hören Sie auf, Späße auf meine Kosten zu machen.“
„Vielleicht sollte ich Sie lieber Miss Marmelade nennen? Das wäre doch ein ausdrucksvollerer Spitzname, wenn man die Farbe Ihrer Haare bedenkt …“ Scheinheilig blinzelnd fügte er hinzu: „Das würde Sie doch nicht verletzen? Was bedeuten denn schon Namen? ‚Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften‘ …“
Seine Anzüglichkeiten waren ganz sicher als Falle für sie gedacht. Er wollte sehen, wie sie reagierte. Und das Zitat aus Shakespeares ‚Romeo und Julia‘ enthielt den Köder für ihre Reaktion, das wusste sie. Doch Vivian konnte nicht darauf eingehen, zumindest nicht, ohne ihren kleinen, aber dafür unendlich wertvollen Vorteil preiszugeben. Dieses Geheimnis würde sie erst später lüften.
„Eigentlich bedeuten Namen eine ganze Menge“, korrigierte sie ihn und widerstand der Verlockung. „Meiner zum Beispiel ist Vivian Mitchell …“
Anstatt vor verständlicher Wut auf die Füße zu springen und sie anzugreifen, stemmte er lediglich den Stuhl, auf dem er saß, mit seinen Stiefelabsätzen auf die Hinterbeine. Er unterbrach ihre Erklärung mit einem unverhüllt boshaften Gesichtsausdruck. „Vivian. Hm, ja, Sie haben recht“, entgegnete er grübelnd.
Seine Stimme war tief und rau und wirkte auf sie aus unerklärlichem Grunde unheimlich anziehend.
„Vivian … Irgendwie scheint er mir zu Ihrer Haarpracht zu passen: bildlich und sprachlich gesehen … Messerscharfe Kanten schießen neben singenden Vokalen empor. Ich darf Sie doch Vivian nennen, nicht wahr, Miss Mitchell?“, fragte er gespielt naiv.
„Natürlich“, zischte sie zwischen zusammengepress ten Lippen. Seine geheuchelte Unschuld vermittelte ihr das Gefühl, in den Klauen eines Löwen gefangen zu sein. „Ich weiß, Sie hatten gefordert, dass Janna Mitchell die Dokumente hierher bringt und den Vertrag unterzeichnet. Da meine Schwester leider nicht kommen konnte, bin ich statt ihrer hier. Ansonsten ist alles genau so, wie Sie es wünschten …“
„Sie konnte nicht kommen?“, erkundigte er sich sanft. „Wieso nicht?“
Vivian hatte damit gerechnet, dass er toben werde, wenn er feststellte, dass die
Weitere Kostenlose Bücher