JULIA SOMMERLIEBE Band 21
dem Mann, der sie vor zehn Jahren des Mordes und Janna der Komplizenschaft beschuldigt hatte. In derart hasserfüllten Worten, dass das Papier, auf dem er seine hässlichen Anschuldigungen an sie adressiert hatte, sie beinahe seelisch zerstört hatte.
Sie presste die Finger stärker an ihre Schläfen und hoffte, den Schmerz etwas zu lindern, der sie kaum klar denken ließ. Dann rang sie sich zu der Frage durch, die sie eigentlich schon lange hätte stellen müssen.
„Was machst du hier?“
„Nun, im Augenblick genieße ich die Aussicht.“
Dass er nicht das Fenster hinter ihr meinte, war Vivian sofort klar. Denn sein Blick wanderte mehrere Zentimeter unter ihren Hals bis zum Dekolleté. Dort verweilte er mit einer derart sinnlichen Zufriedenheit, dass sie selbst an sich hinuntersah.
Im nächsten Moment schrie sie gedemütigt auf. Die Bettdecke war hinabgerutscht, ihre Brust war ebenso nackt wie die seine. Im Bruchteil einer Sekunde bemerkte Vivian zu ihrer Schande, dass ihre Brustspitzen sich zusammenzogen und aufrichteten. Und das hatte rein gar nichts mit der unsichtbaren Liebkosung des kühlen Luftzuges zu tun.
Schamrot schnappte sie sich die Bettdecke und zog sie bis unter ihr Kinn. Sie rutschte nach hinten, bis sie die raue Wand an ihrem Rücken spürte. Eine Woge der Entrüstung überkam sie und ließ sie nun erst richtig aufwachen. Ihre Röte vertiefte sich. Während der gesamten Unterhaltung hatte Nicholas Thorne gewusst , dass Vivian von ihrer Nacktheit nichts ahnte. Während sie sich damit abquälte, mit ihm zu sprechen, hatte er es genossen, dass sie sich vor ihm zur Schau zu stellen. Er hatte ihr nicht den leisesten Hinweis gegeben! Im Gegenteil: Ganz augenscheinlich war es für ihn eine Genugtuung gewesen, sie in Verlegenheit zu bringen.
Vivian ließ eine Hand forschend unter die Decke gleiten. Bestürzt stellte sie fest, dass sie nur noch ihren winzigen Slip trug.
„Was ist mit meinen Kleidern passiert?“, wollte sie, außer sich vor Wut, wissen und sah sich im Zimmer um. Mit unscharfem Blick – wo um Himmels willen war ihre Brille? – versuchte sie, die Umrisse erkennen. Das Bett, ein kleines Nachtschränkchen und ein seltsamer, dreieckiger Wäscheständer in der Mitte des Raumes schienen die einzigen Möbelstücke zu sein. Kein Schrank, keine Kleider.
„Erinnerst du dich nicht daran, sie ausgezogen zu haben?“, fragte er und verlagerte sein Gewicht, um die Arme lässig hinter seinem Kopf zu verschränken. Dabei streifte sein Bein unter der Bettdecke leicht ihr Knie. Vivian schrak auf wie von der Tarantel gestochen.
„Nein!“, gab sie bissig zurück. „Ich erinnere mich daran, dass du sie mir ausgezogen hast.“
Ihre Finger krallten sich fester um das Laken, aus ihren Augen schossen grüne Blitze, während allmählich alle Einzelheiten wieder in ihr Gedächtnis traten. Er hatte sie geküsst, sich an ihrer Hilflosigkeit geweidet. Dass sie sich nicht mit Händen und Füßen gegen ihn gewehrt hatte, verdankte er nur seiner heimtückischen Droge, die er ihr eingeflößt hatte!
Aber nun bin ich nicht hilflos, dachte sie grimmig. Er wollte einen harten Kampf haben? Den sollte er bekommen. Sie war zu allem bereit.
Schließlich hatte sie sich wissentlich in die Fänge seiner offenbar minutiös geplanten Falle begeben.
Ihr Plan dagegen war einfach gestrickt: Sie wusste, dass der Rachedurst Nicholas dazu zwang, alles und jeden, den Vivian liebte, als Druckmittel anzusehen, das man gegen sie einsetzen konnte. Deshalb würde sie seinen Beschuss so lange auf sich lenken, bis er sich verausgabt hatte. Oder bis seine skrupellose Lust nach Vergeltung besänftigt wäre.
„Habe ich dich tatsächlich ausgezogen?“ Er wirkte überrascht. Allerdings wusste sie, dass er sie damit nur verhöhnen wollte. „Meine Güte! Wie konnte ich nur! Bist du sicher, dass das kein Wunschdenken ist?“
„Du bist der allerletzte Mensch, von dem ich mir etwas wünschen würde!“ Und am allerwenigsten das! Mit einer blitzschnellen Bewegung zog sie das Laken, das herunterzurutschen drohte, wieder bis zum Kinn hoch und sah ihn mit grimmiger Verachtung an. Sie war gewillt, alles hinzunehmen, solange er nur ihre Familie in Ruhe ließ. Der Erfolg ihrer ganzen Mission hing davon ab, dass er niemals erfuhr, dass sie sich freiwillig selbst opferte.
„Du hast mich unter falschen Voraussetzungen hierher gelockt. Mich unter Drogen gesetzt und mir dann die Kleider ausgezogen!“, feuerte sie ihm herausfordernd
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