Julia Sommerliebe Band 22
erstaunt darüber, dass es ihm überhaupt aufgefallen war.
„Ja, du hast dich irgendwie verändert. Neues Kleid?“
„Ja“, antwortete sie, und dachte: ein neues Kleid, neue Frisur, neues Make-up … Als sie sich im Spiegel betrachtet hatte, bevor sie hergefahren worden war, hatte sie sich kaum wiedererkannt. Wenn der normalerweise nicht besonders aufmerksame Paul etwas bemerkte, musste die Veränderung größer sein, als sie angenommen hatte.
„Das ist ein ganz anderer Look“, sagte Paul und griff nach dem weich fallenden blauen Stoff ihres Kleides, das ihr bis zu den Knien reichte.
„Gefällt es dir nicht?“
„Doch, sicher! Aber ich kenne dich nur in Jeans. Hiermit siehst du ein bisschen … hm … sagen wir, distanziert und unerreichbar aus“, sagte er und musterte sie noch einmal.
„Unerreichbar?“
Gabby war erstaunt über seine Äußerung, aber sie störte sich auch nicht daran. Die Wahrscheinlichkeit, dass Prinz Hakim ein Interesse an ihr haben könnte, war ihrer Meinung nach zwar ohnehin sehr gering, aber wenn sie obendrein distanziert und unerreichbar wirkte, würde ihn das hoffentlich endgültig abschrecken.
Je mehr Hindernisse sie Rafiks Plänen in den Weg legte, desto besser. Und wenn, wie sie hoffte, Rafik das Pflichtbewusstsein seines Bruders überschätzte, würde es nicht mehr lange dauern, bis er begriff, dass die Menschen in seiner Umgebung keine Marionetten waren.
Aber eigentlich machte ihr etwas ganz anderes Sorgen als ihre Fähigkeit, seinem Bruder gegenüber kühl zu erscheinen. Jedes Mal, wenn sie daran dachte, wie sie Rafik an sich gezogen und geküsst hatte, wollte sie am liebsten unsichtbar werden und im Erdboden versinken. Wenn sie dann noch daran dachte, wie er sie geküsst und sie sich gewünscht hatte, dass er damit nicht aufhören würde, dann war das mehr als erniedrigend – es war geradezu unfassbar!
Wie konnte das nur angehen? Die Gefühle, die Rafik in ihr ausgelöst hatte, waren erschreckend. Solche Begierden und Gelüste waren ihr bis dahin völlig fremd gewesen. Warum hatte ausgerechnet dieser finstere Mann die in ihr schlummernde Sinnlichkeit zum Leben erwecken müssen?
Natürlich hatte er auch seine guten Seiten. Immer wieder sah sie sein ebenmäßiges, müdes Gesicht vor sich; so hatte er ausgesehen, als Sayed sie gestern aus dem Lager in Bahu abgeholt hatte. Rafik kümmerte sich so aufopfernd um sein Land und dessen Bevölkerung, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als ihn zu bewundern und sich Sorgen um ihn zu machen.
Sie biss die Zähne zusammen. Nein, sie würde sich keine Sorgen machen. Dieser Mann hatte nicht einmal den Anstand gehabt, ihr mitzuteilen, wann und ob er in den Palast zurückkehren würde. Doch außer der kurzen Nachricht heute Morgen hatte sie nichts von ihm gehört.
Was war nur los mit ihr? War sie etwa eine dieser Frauen, die sich von Männern angezogen fühlten, die sie nicht haben konnten?
Wohl eher nicht. Denn dann würde sie Prinz Rafik wollen , und das war nicht der Fall. Dass ihr jedes Mal ganz warm wurde, wenn sie an ihn dachte, war einfach nur eine Art chemische Reaktion auf einen so überaus attraktiven Mann. Kein Wunder, dass ihre Hormone aus dem Schlummerstadium erweckt worden waren.
Aber jetzt hatte sie alles wieder unter Kontrolle, Ende der Geschichte. Nun kam die nächste Aufgabe auf sie zu: Sie musste beweisen, dass sie keine gute Königin abgeben würde.
„Na ja, vielleicht doch nicht unerreichbar, sondern eher …“, antwortete Paul zögernd.
„Königlich?“, fragte Gabby besorgt. Entsetzt von dem Gedanken, hätte sie sich am liebsten ihr Haar in Unordnung gebracht und ihr Make-up verwischt. Ohnehin hatte sie sich den ganzen Tag lang gefühlt, als sei sie im Körper einer anderen Frau gefangen. Oder einfach nur gefangen. Vorübergehend in Beugehaft genommen.
Paul warf den Kopf zurück und lachte. „Du? Königlich? Haha, ein guter Witz!“ Er lachte über seine Bemerkung und fragte: „Um wie viel Uhr geht noch mal der Flug?“
Gabby nannte ihm die Abflugzeit, und er sah auf seine Uhr. „Dann ist es wohl schon zu spät, um sich noch mal für ein halbes Stündchen aufs Ohr zu hauen, was meinst du?“
Sie schüttelte den Kopf. „Im Gefängnis hast du sicher schlecht geschlafen, oder?“
„Ehrlich gesagt – es gab nicht viel anderes, was man dort tun konnte. Und du kennst mich ja – ich kann immer und überall schlafen. Ich bin der Meister des Nickerchens!“ Er steckte sich auf dem Sofa aus und
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