Julia Sommerliebe Band 22
gähnte. „Musst du nicht noch packen oder so? Soll ich schon mal ein Taxi bestellen?“
Gabby holte tief Luft. „Paul … also, ich hatte gedacht, ich bleibe noch ein bisschen.“
„Du kommst nicht mit nach Hause?“
Nach Hause. Der Kloß in Gabbys Hals wurde größer, und sie spürte, wie ihr die Tränen kamen.
Sie könnte mit Paul fliegen.
Zwar hatte sie ihr Wort gegeben, aber sie war unter Druck gesetzt worden, also zählte es nicht. Außer der Rechtschaffenheit, von welcher Rafik so sehr überzeugt war, dass sie sie besaß, hielt sie nichts zurück. Heute Nacht schon könnte sie wieder in ihrem eigenen Bett schlafen.
Die Vorstellung war verlockend.
Was und wer sollte sie davon abhalten? Rafik? Nicht einmal er würde es wagen, sie aus einem voll besetzten Flugzeug zu zerren.
Unwillkürlich sah Gabby sein Gesicht vor sich – die hohen Wangenknochen, den sinnlichen Mund und den undurchdringlichen Blick. Es war das Gesicht eines Mannes, der vor nichts zurückschreckte, wenn er ein Ziel vor Augen hatte. Dieser Mann war unglaublich eigensinnig und ließ sich durch niemanden von seinem Vorhaben abbringen, dass es schlichte Zeitverschwendung wäre, ihm zu sagen, dass sein Plan der reinste Wahnsinn war. Aber im Laufe der Zeit das würde er es sicherlich irgendwann von selbst begreifen.
„Ich dachte, ich mache mal ein paar Tage Urlaub“, sagte sie. Wenn alles nach Rafiks Plänen ging, würde sie hier für den Rest ihres Lebens bleiben. Nein, das durfte nicht sein.
„Aber du bist sonst nie im Urlaub.“
„Ich fahre nicht so oft in den Urlaub wie du – aber das ist ja auch kein Kunststück.“
Paul arbeitete nur, um seine vielen Reisen bezahlen zu können. Ihre Eltern hofften, dass sich sein Fernweh mit der Zeit legen würde, aber bislang gab es noch keine Anzeichen dafür.
„Letzten Sommer war ich im Lake District“, erinnerte sie ihn.
Paul machte ein geringschätziges Gesicht. „Du warst mit ein paar Kindern zelten, und es hat geregnet. Das ist doch kein Urlaub!“
„Es ist sehr schön im Lake District.“
Paul schüttelte den Kopf. „Ach, Gabby, weißt du, manchmal mache ich mir Sorgen um dich. Vielleicht sollte ich lieber hier bei dir bleiben.“
„Nein!“, rief Gabby entsetzt. Sie bemerkte Pauls verwunderten Blick und fuhr in einem gemäßigteren Ton fort: „Ich wollte sagen, dass es sicher besser ist, wenn du zunächst allein nach Hause fliegst. Die letzten Tage waren ganz schlimm für Mum und Dad, und sie werden erst wieder ruhig schlafen können, wenn sie dich in ihre Arme geschlossen haben.“
Paul sah sie zerknirscht an. „Stimmt wohl. Die Armen – sie haben ganz schön viel mit mir durchgemacht. Aber ich habe das ja alles nicht mit Absicht getan!“
„Das weiß ich doch“, sagte Gabby nachsichtig.
„Zumindest eines ihrer Kinder verursacht ihnen nachts keine Albträume.“
Gabby wich seinem Blick einfach aus. Noch immer ging sie davon aus, dass Rafiks Pläne nicht aufgehen würden, aber anderenfalls wäre nicht nur ihr Leben davon betroffen.
„Schade. Ich hätte dir gern die schönen Orte hier gezeigt – nicht das Gefängnis, natürlich. Wohnst du in diesem Hotel? Wie viel kostet es pro Nacht? Ich werde mal mit der Geschäftsführung reden, vielleicht kommst du dann etwas günstiger davon.“
„Danke, Paul, aber um ehrlich zu sein … ich bin von einer Familie eingeladen worden, bei ihnen zu wohnen.“
„Cool, die beste Art, ein Land kennenzulernen, ist, bei Einheimischen zu wohnen. Oder kommen sie von woanders?“
„Nein, sie sind von hier. Ich bin eingeladen worden, im Palast zu wohnen.“
Paul starrte sie an. Nach erstauntem Schweigen klatschte er schließlich in die Hände und grinste selbstgefällig. „Siehst du! Ich hatte recht.“
„Ja?“
„Ja. Sie haben eine Heidenangst, dass ich Ärger machen könnte, darum umschmeicheln sie dich jetzt. Da solltest du zuschlagen. Vielleicht bekommst du sogar die königliche Familie zu Gesicht.“
„Ich kann es kaum erwarten.“
„Das war doch nur ein Witz. Das Anwesen ist riesig – und es ist nicht gerade wahrscheinlich, dass dich der König zum Essen einlädt.“
Gabby, die kaum fähig war, an etwas anderes zu denken als an das, was sie heute Abend vor sich hatte, fiel halbherzig in das Gelächter ihres Bruders mit ein, der über den eigenen Witz lachte.
„Los“, sagte sie und knuffte ihn scherzhaft. „Beeil dich, sonst verpasst du noch deinen Flug.“
„Was habe ich dir gesagt?“, fragte Paul,
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