Julia Sommerliebe Band 24
zurück und starrte ihn ungläubig an. Warum zum Teufel hatte er so lange gezögert? Dann wurden ihre Gedanken durch das hysterische Schluchzen der Mutter des Mädchens unterbrochen, die erst jetzt bemerkte, welches Drama sich abgespielt hatte. Aus der Ferne erklang ein Martinshorn.
Langsam ging Bonnie zu ihrem Liegestuhl zurück. Der nasse Sarong klebte an ihrem Körper, und sie begann mit den Zähnen zu klappern, als der Schock sie einholte.
Eine balinesische Hotelangestellte kam auf sie zu und reichte ihr die Sonnenbrille, die sie beim Sprung in den Pool verloren hatte. In den Augen der Frau glitzerten ebenfalls Tränen. „Danke“, sagte sie mit erstickter Stimme. „Die Seele eines Kindes ist so kostbar. Sie haben sie gerettet.“
Bonnie atmete tief ein. „Wir haben noch einmal Glück gehabt.“
„Aber nur, weil Sie und der Doktor da waren.“ Die Frauen sahen zu Harry hinüber, der noch immer wie versteinert dastand.
In seinen Augen spiegelte sich tiefer Schmerz. Der Anblick schnürte Bonnie erneut die Kehle zu. Sie hatte vorhin also keine Gespenster gesehen. Aber warum war er ihr nicht früher zu Hilfe gekommen und hatte sie mit einer so gefährlichen Situation allein gelassen? Und warum hatte er ihr zwei Tage lang verschwiegen, dass er Arzt war, sogar noch, nachdem sie mit ihm geschlafen hatte?
Sie musste schleunigst von hier verschwinden, bevor sie die Kontrolle verlor. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, erhob sie sich und taumelte ins Innere des Hotels.
Ja, er hatte dem Mädchen das Leben gerettet, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass er ein Lügner war. Genau wie der letzte Mann, dem sie ihr Vertrauen geschenkt hatte.
Anderthalb Stunden später verließ Harry das Krankenhaus in Dempasar, nachdem er das kleine Mädchen, das Ginger hieß, samt seiner Mutter im Rettungswagen begleitet hatte. Er fühlte sich wie gerädert, als er aus den klimatisierten Räumen in die staubige Hitze hinaustrat.
Was mochte Bonnie von ihm denken? Und wie sollte er mit der Schuld leben, nicht viel früher reagiert zu haben?
Genau das Gleiche war ihm bei seinem ersten Notfalleinsatz nach Claras Tod passiert. Hinterher hatten seine Kollegen versucht, ihn zu beruhigen. Seine Reaktion sei nur verständlich nach allem, was er durchgemacht hatte. Doch Harry konnte sich sein Verhalten nicht verzeihen. Wozu taugte ein Arzt, dem man nicht vertrauen, auf den man im Notfall nicht zählen konnte? Er hatte nicht nur seine Frau verloren, sondern auch seine Berufung. Darum war er nach Bali geflohen, hatte der Medizin den Rücken gekehrt und in den Tag hinein gelebt, ohne Plan und ohne Ziel. Bis ihn eine gewisse Hebamme wieder in die gleiche Situation gebracht hatte, vor der er damals weggelaufen war.
Aus diesem Grund hatte er sich geschworen, nie mehr die Verantwortung für das Leben eines anderen Menschen zu übernehmen, schon gar nicht für das eines Babys. Nicht auszudenken, wenn das kleine Mädchen vorhin unter seinen Händen gestorben wäre.
In der Aufregung hatte er nicht daran gedacht, sich bei Bonnie für seine Feigheit und sein Zögern zu entschuldigen, auch wenn es dafür eigentlich sowieso keine Entschuldigung gab. Wahrscheinlich verachtete sie ihn für seine Schwäche, ebenso wie er sich selbst verachtete.
Trotzdem blieb ihm ein Funken Hoffnung, dass er ihr sein Verhalten erklären könnte. Wenn er gleich losfuhr, konnte er sie am Flughafen abpassen.
Tatsächlich traf er direkt in der Abflughalle auf Bonnie, die ihren Koffer in Richtung Gate zog.
„Bonnie. Hallo.“ Die Anstrengung der letzten Stunden war noch deutlich in ihrem hübschen Gesicht zu lesen. Das war vor allem seine Schuld. War sie froh oder wütend darüber, ihn zu sehen? Wenigstens war sie stehen geblieben.
Ihre Blicke begegneten sich. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
Sie umklammerte fest ihre Handtasche. „Zum Glück ist das dein Problem und nicht meines.“
„Bonnie, es tut mir leid.“ Betreten fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar.
„Was genau tut dir leid? Dass du mich die ganze Zeit über belogen hast, oder dass du mir heute erst in letzter Sekunde zu Hilfe gekommen bist?“
„Beides. Aber ich hatte meine Gründe dafür.“
Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Verschone mich mit deinen Erklärungen.“ Sie warf einen Blick auf die Uhr. „Mein Flug geht gleich. Ich bin sowieso schon spät dran.“ Dann griff sie sich in den Nacken und öffnete den Verschluss der Halskette. „Die möchte ich
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