Julia Sommerliebe Band 24
Auto leisten konnte. Harry fühlte sich auf einmal wie ein Fremder, als er zwischen den Schildern mit indonesischen Schriftzeichen und den Palmen am Straßenrand hindurchfuhr. Er war aus Australien in diese exotische Welt geflohen, aber er gehörte nicht hierher.
Bonnie hatte ihn gründlich zum Nachdenken gebracht. Und der Vorfall am Pool hatte ihn in seine eigene Vergangenheit zurückversetzt. Er hatte an nichts anderes denken können als daran, dass dieses kleine Mädchen sterben würde, genau wie seine Familie damals. Und doch war es anders gekommen. Bonnie und er hatten das Kind retten können und damit einer anderen Familie unendliches Leid erspart. Das allein war Grund genug, seine Entscheidung zu überdenken.
Ein ganzes Jahr hatte er auf Bali verbracht und dabei von einem Tag zum nächsten gelebt. Er hatte es vermieden, über die Vergangenheit oder die Zukunft nachzudenken, damit er sich seinen Ängsten nicht stellen und nicht daran denken musste, was er zurückgelassen hatte.
Vielleicht sollte er sich ein Beispiel an Bonnies gesundem Realismus nehmen. Harry konnte sich nicht vorstellen, wieder in einer Klinik zu arbeiten, wo er von Patient zu Patient hetzen und schnelle Entscheidungen treffen musste. Selbst das Tempo eines kleineren Krankenhauses wie das in Darwin würde ihn überfordern.
Der RFDS suchte ständig Ärzte, aber dort würde er jeden Tag darauf hoffen, dass der nächste Einsatz ihn nach Uluru und zu Bonnie führte.
Bonnie. Sie war der Schlüssel zu allem. Wenn irgendjemand ihn zu einem normalen, geregelten Leben zurückführen konnte, dann war sie es. Mehr wollte er nicht von ihr. Keine feste Bindung, keine langfristigen Pläne. Aber dazwischen gab es so vieles im Leben, was sie miteinander teilen konnten – wenn sie es auch wollte. Er musste es herausfinden.
Wie würde sie reagieren, wenn er aus heiterem Himmel in Uluru auftauchte? Steve jedenfalls würde sich freuen, falls er nicht inzwischen einen Ersatz für Harry gefunden hatte.
Bonnie wurde in den Sitz gedrückt, als die Maschine startete. Von ihrem Fensterplatz aus sah sie die Insel langsam unter sich verschwinden. Das dort drüben musste Jimbaran Bay sein. Für einen Augenblick glaubte sie, den Geruch der unzähligen Barbecue-Grills in der Nase zu spüren.
Harry St Clair. Einmal mehr war sie auf einen Lügner hereingefallen. Ein Arzt, der sich vor sich selbst und der Welt versteckte. Sie konnte nicht fassen, dass sie ihn so nahe an sich herangelassen hatte.
Gestern Abend hatte sich alles so gut und richtig angefühlt. Auch jetzt konnte sie nicht leugnen, dass es für kurze Zeit eine Art Seelenverwandtschaft zwischen ihnen gegeben hatte. Doch nach allem, was vorgefallen war, würde sie ihm niemals wieder vertrauen können. Und sie würde sich nicht noch einmal das Herz brechen lassen.
Wenn Harry nicht bereit war, sich der Realität zu stellen, war das sein Problem. Sie selbst war es umso mehr.
Die Erinnerung an Bali und an die traumhaften Stunden, die sie mit ihm verbracht hatte, würde ihr immer im Gedächtnis bleiben. Aber das war nun vorbei.
Es war Zeit, nach vorne zu schauen.
6. KAPITEL
Bonnie erreichte Uluru eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit. Auf der Gegenfahrbahn reihten sich die Autos Stoßstange an Stoßstange. In den meisten davon saßen vermutlich Touristen, die den Sonnenuntergang am Strand genießen wollten, genau wie auf Bali. Unwillkürlich musste Bonnie an ihren letzten Sonnenuntergang in Ubud denken und daran, was an jenem Abend geschehen war. War das wirklich erst zwei Tage her?
Vor ihr scherte ein Motorrad aus und bog in einem halsbrecherischen Manöver auf die Straße. Bonnie konnte gerade noch ausweichen. Der Fahrer, ein sehr jung aussehender Aborigine, grinste und winkte ihr zu. Hinter ihm saß seine hochschwangere Freundin. Die beiden waren fast noch Teenager.
„Immer schön langsam, sonst verpasst ihr nicht nur den Sonnenuntergang, sondern landet mitsamt eurem Motorrad im Straßengraben“, murmelte Bonnie vor sich hin. Mit ihren Gedanken war sie immer noch auf Bali und bei Harry. Nur ein Urlaubsflirt, keine tieferen Gefühle. Wieder und wieder lief ihr letzter gemeinsamer Tag wie ein Film vor ihrem inneren Auge ab. Sie suchte nach dem Moment, in dem ihr ihre guten Vorsätze abhandengekommen waren. Offenbar hatte sie nichts aus der Vergangenheit gelernt, sonst wäre sie nicht noch einmal auf einen notorischen Lügner hereingefallen.
Wenigstens verspürte sie nicht diese lähmende Traurigkeit
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