Julia Sommerliebe Band 24
Vögel in einem auffälligen roten Federkleid. Es mussten Feuerschwanzamadinen sein. Bonnie erkannte sie, weil in ihrem Zimmer ein Bild der zierlichen Finkenart hing. Zu gerne hätte sie ihr neu erworbenes Wissen mit jemandem – mit Harry zum Beispiel – geteilt. Stattdessen nahm sie sich vor, bei Gelegenheit ein Buch über die einheimische Tierwelt zu kaufen. Dazu brauchte sie keine Gesellschaft.
Zurück in ihrem Zimmer duschte sie und zog sich an. In dem kleinen menschenleeren Aufenthaltsraum bereitete sie sich ein schnelles Frühstück zu. Nach diesem ereignisreichen Morgen fühlte sie sich voller Energie und bereit für ihren ersten Arbeitstag.
Tatsächlich blieb ihr den ganzen Tag über keine Zeit für Grübeleien. Diverse Hitzschläge und aufgeschürfte Knie, ein gebrochenes Handgelenk und ein Auge voll Sand erforderten ihre volle Aufmerksamkeit.
Bonnies letzte Patientin war eine redselige ältere Dame namens Iris Wilson, die bereits im Wartezimmer in eine kurze Ohnmacht gefallen war. Iris behagte das Klima im Outback überhaupt nicht.
„Diese Hitze bin ich nicht gewohnt“, klagte sie und schüttelte sich. „Und schon gar nicht die vielen Fliegen. Ich habe furchtbare Angst, weil ich eine davon verschluckt habe.“
Bevor Bonnie einhaken konnte, fuhr Iris bereits fort. „Eins von diesen schmutzigen Insekten ist mir direkt in den Mund geflogen, und dann war es weg. Ich bin sicher, dass ich es verschluckt habe. Ich fühle mich schon ganz schwach. Diese Viecher übertragen doch jede Menge Krankheiten.“
„Die Fliegen sind lästig, das stimmt“, versuchte Bonnie sie zu beschwichtigen. „Aber auch sie haben ihren Platz in unserer Welt.“
„Aber nicht in meinem Magen“, konterte Iris verärgert.
„Natürlich nicht.“ Bonnie verbiss sich ein Lachen und holte das Blutdruckmessgerät. „Jedenfalls sind Fliegen gute Abfallverwerter und dienen zahlreichen anderen Tieren als Futter. Aber keine Sorge, Ihre Magensäure wird mit dem Insekt und sämtlichen Krankheitserregern kurzen Prozess machen. Jetzt werde ich Ihren Blutdruck überprüfen, Iris. Sie sehen reichlich blass aus. Sie haben sich nicht etwa den Kopf angeschlagen, als Sie vorhin in Ohnmacht gefallen sind?“
Iris verneinte. „Sollte mich nicht lieber ein Arzt untersuchen?“
„Wenn Sie darauf bestehen. Allerdings befindet sich der nächste Arzt derzeit im Krankenhaus in Alice Springs. Das sind fünf Stunden Autofahrt. Oder Sie nehmen mit mir vorlieb.“
„Können Sie mich nicht mit dem Krankenwagen dorthin verlegen?“
Bonnie hatte Mühe, ernst zu bleiben. „Leider bin ich im Moment die Einzige, die den Krankenwagen fahren kann, und ich kann meine Patienten nicht im Stich lassen.“
Sichtbar ernüchtert ließ die alte Dame die Schultern hängen. Bonnie hatte Mitleid mit ihr. „Wissen Sie, ich habe auch schon einmal eine Fliege verschluckt. Das ist kein schönes Gefühl, aber in der Regel völlig harmlos. Was halten Sie davon, dass ich jetzt Ihren Blutdruck messe und Sie sich danach auf unserer Station etwas ausruhen, bis es Ihnen besser geht?“
Iris nickte unwillig und ließ sich die Manschette um den Arm legen.
Als sie fertig war, tätschelte Bonnie behutsam ihre Schulter. „Ihr Blutdruck ist ziemlich niedrig. Es ist wichtig, dass Sie ausreichend trinken, damit er nicht weiter heruntergeht. Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?“
„Mein Arzt hat mir welche verschrieben, aber ich nehme sie nicht.“ Auf einmal erschien Iris ganz kleinlaut. Ihre Augen waren verräterisch feucht.
„Es tut mir schrecklich leid, dass ich so unhöflich war. Ich glaube, ich bin ein wenig in Panik geraten“, gab sie zu und strich sich eine Strähne ihres silbergrauen Haares aus der Stirn. „Früher war ich nicht so empfindlich, aber seit ich meine Familie verloren habe, sind meine Nerven nicht mehr die besten.“
Sie seufzte. „Mein Leben lang habe ich mir gewünscht, einmal Ayers Rock zu sehen, aber so ganz alleine ist es einfach nicht dasselbe.“ Iris griff nach ihrer Handtasche und erhob sich langsam.
Einem spontanen Impuls folgend, öffnete Bonnie ihre Arme. Iris ließ zu, dass sie sie vorsichtig umarmte. „Ich kann verstehen, wie Ihnen zumute ist, und ich bin sicher, dass Sie sich bald besser fühlen werden.“ Sie warf der alten Dame einen verschwörerischen Blick zu. „Übrigens wirken Sie immer noch ganz schön Respekt einflößend, wenn Sie es darauf anlegen.“
Iris lächelte zaghaft, und ihr zugleich tapferer und trauriger
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