Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
wieder einem Idol folgt, noch dazu einem äußerst erfolglosen. Darüber spricht er mit Julia Timoschenko, der er am nächsten steht. Die wird nachdenklich, kann sich aber nicht entscheiden.
Am 17. September wird der Chef des Organisationsstabes für das Referendum gegen den Präsidenten, Mykola Siwulsky, verhaftet. Er ist unter den Initiatoren des Amtsenthebungsverfahrens das einzige Opfer, auf das die Staatsanwaltschaft Zugriff hat. Im Unterschied zu den »Gromada«-Führern steht Siwulsky nicht unter dem Schutz des magischen Deputierten-Abzeichens. Aber es ist für niemanden ein Geheimnis, gegen wen dieser Schlag wirklich zielt. Siwulsky, einem früheren Geschäftspartner Julia Timoschenkos, wird vorgeworfen, er habe über zehn Millionen Griwna von den Konten eines Gaskonsortiums illegal an JeESU überwiesen. Dafür kann er bis zu fünf Jahre hinter Gitter kommen.
Auf einen Schlag muss man mit einem Gegenschlag antworten.
Diesmal nimmt Julia Timoschenko das Gesetz ihrer Kindheit ganz wörtlich. Gemeinsam mit weiteren Abgeordneten zieht sie vor das Untersuchungsgefängnis und wirft dort mit Steinen die Fenster ein. Damit riskiert sie, dass in ihrer dicken Ermittlungsakte auch noch Rowdytum und Angriffe gegen die Staatsgewalt auftauchen … Im Parlament brandmarkt sie in einer flammenden Rede die Verhaftung als einen Akt politischer Vergeltung. In einer Erklärung des Stabes, den Siwulsky geleitet hat, wird das düstere Bild künftiger politischer Repressalien im Lande gemalt: »… In der Ukraine hat de facto ein Regime von Terror und Gewalt Einzug gehalten … Das herrschende Regime ist fähig, jegliche moralischen Normen zu missachten … die Demokratie und die Menschenrechte zu vernichten … Leonid Kutschma und seine Umgebung sind drauf und dran, die politischen Parteien zu verbieten, die Massenmedien zu schließen, die Volksvertreter zu verhaften, die Oberste Rada aufzulösen und über die Ukraine den Ausnahmezustand zu verhängen.«
Derlei Pläne hat Kutschma nicht. Die Erklärung sagt eher etwas über die Stimmung Julia Timoschenkos und ihrer Anhänger aus: Sie sind in Panik geraten.
Im Oktober fällt das Schiedsgericht der Ukraine sein abschließendes Urteil in einer ganzen Serie von Prozessen gegen JeESU. Die Katastrophe ist in den gestanzten Phrasen des Urteils formuliert. Der Führung des Unternehmens werden Schulden in Höhe von 42 Millionen Dollar bei »Ukrgazprom« angehängt. Die Konten von JeESU sind bereits beschlagnahmt. Das Oberste Schiedsgericht entscheidet weiter, gegen Julia Timoschenkos Firmenimperium eine Strafe für die Verletzung der Devisengesetze zu verhängen. Das sind noch einmal 300 Millionen Dollar.
Solche Summen sind auf den beschlagnahmten Firmenkonten nicht zu finden. Damit muss JeESU Insolvenz erklären. Julia Timoschenkos Geschäft ist endgültig vernichtet. Dazu hat sie gigantische Schulden. Das Verhältnis zur Staatsmacht kann nicht schlechter sein, was weitere Probleme verspricht.
Zeit der Verzweiflung. Julia Timoschenko überlässt sich diesem tränenreichen Gefühl nur für kurze Zeit, dafür aber mit all der Leidenschaft, die ihr von der Natur gegeben ist.
Augenzeugen berichten, dass sie in diesen Tagen ein Schatten ihrer selbst war. Sie hatte alles auf der Welt verloren, war verwirrt, in sich gekehrt, leichenblass und wirkte gehetzt. Vor allem wusste sie nicht, wem sie die Schuld an all dem geben sollte: Lasarenko? Kutschma? Sich selbst? Und dass sie keinen Ausweg sah.
Den wies ihr Turtschinow.
Der nüchterne, ruhige, logisch denkende Intellektuelle hat wohl kaum das brutale Wort »Kapitulation« gebraucht. Er hat sicher nicht gesagt: »Es reicht, Julia, lass Lasarenko fallen und geh als reuige Sünderin zu Kutschma.« Für die stolze Julia wird er andere Worte gefunden haben. Man brauchte sie aber wohl kaum noch zu überreden. Sie sah selbst, dass ihre »Gromada« unter Führung Lasarenkos dem Abgrund entgegenging. Sie ahnte, wie schlimm ihre Lage war. Aber sie und Turtschinow wussten nicht, ob die Staatsmacht mit ihnen überhaupt noch reden wollte und was der Preis eines Handels sein könnte. Aber sie erkannten eines: Das war ihre einzige Chance.
Julia Timoschenkos Bereitschaft zur Kapitulation bedeutet einen Dolchstoß für Pawlo Lasarenko. Er weiß genau: Wenn die Ex-Prinzessin aussagt, ist er erledigt. Am 2. Dezember 1998 besteigt Lasarenko eine Maschine der JeESU und fliegt in die Schweiz.
Aber Kutschmas Leute sind nicht untätig geblieben. Zwar haben
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