Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
nicht nur eine nie da gewesene Zahl an Dokumenten, die die Ukraine fest an Russland binden, sondern vereinbaren auch gegenseitige Unterstützung. Aber diese braucht nur Kutschma, und er bekommt von Putin freie Hand. Zwei Tage später wird Julia Timoschenko in ihrer Datscha verhaftet.
Nun schmachtet sie im Gefängnis, und Kutschma quält sich weiter in Freiheit.
In diesem Jahr gibt der ukrainische Präsident eine Position der Ukraine nach der anderen an Russland ab. Während die Führer des Westens, vor allem Bush, die Entwicklung von Kutschmagate mit wachsendem Abscheu verfolgen, während die ukrainische Opposition von ihm fordert, Kutschma zu boykottieren – was in Washington und auch in Brüssel auf Verständnis stößt –, erwärmen sich die Beziehungen zwischen Moskau und Kiew von Tag zu Tag.
Niemanden hat Putin in diesen zwei Jahren so häufig getroffen wie Kutschma. Seit November 2000 ist Moskau für das offizielle Kiew der natürliche, ja fast der einzige Verbündete. Ein verwirrter, einsamer Kutschma, dessen Macht zusehends schwindet, ist für den Kreml der ideale Partner.
Das ist das wichtigste Ergebnis des Tonbandskandals.
Wenn es sich hier um eine Spezialoperation gehandelt hat, die Kutschma zur Freundschaft mit Moskau zwingen sollte, dann ist sie höchst professionell ausgeführt worden. In Amerika öffnete der furchtlose Melnytschenko dem Westen die Augen über die verbrecherische Natur des ukrainischen Präsidenten. In Moskau und Dnipropetrowsk erwartete Putin den armen Kutschma, um ihn in seinem Kummer zu trösten. Kutschma litt und unterschrieb willig Dokumente über den umfassenden Ausbau der russisch-ukrainischen Zusammenarbeit. Die Ukraine näherte sich Russland in raschem Tempo an, und die Fachleute konnten nur rätseln, ob die Zusammenarbeit zwischen Kiew und Moskau in der Weltraumrüstung auch in Dnipropetrowsk besprochen wurde und wie sie mit den internationalen Verpflichtungen der Ukraine in Einklang zu bringen war.
In Europa und Amerika löste diese plötzliche slawische Bruderschaft nicht geringe Unruhe aus, aber die Führer des Westens konnten nichts tun. Sowohl Kutschma als auch der Westen waren jetzt im Zugzwang. Kutschma suchte die Isolierung zu durchbrechen, in die er seit Beginn der Gongadse-Affäre geraten war. Seine Partner im Westen mussten die Regel beachten, dass man einen Politiker, der des Mordes verdächtig ist und auf bestimmten Tonbändern, die als echt gelten, fast ein Verbrechen angeordnet hat, automatisch meiden muss. Zugzwang ist im Schach eine Situation, in der der Spieler Züge tun muss, die seine Lage weiter verschlechtern. Kutschma war gezwungen, auf seine Unabhängigkeit zu pfeifen, sich Russland anzunähern und mit Putin Freundschaft zu schließen. Der Westen musste Kutschma isolieren, womit er ihn Moskau förmlich in die Arme trieb.
Vielleicht war der verhängnisvolle Fehler des Präsidenten, Julia Timoschenko ins Gefängnis werfen zu lassen, auf dessen Seelenzustand zurückzuführen. Damit aber wurde sie mit einem Schlag zur nationalen Führungsfigur. Der Präsident hätte sie nicht den Oligarchen zum Fraß vorwerfen brauchen und nur einen Teil ihrer Forderung erfüllen können, indem er sie aus dem Regierungsamt entließ. Aber am 13. Februar 2001, als Julia Timoschenko in ihrer Zelle saß, waren alle Brücken verbrannt und das Urteil unterschrieben. Das Urteil für Leonid Kutschma.
Vierzehntes Kapitel
Eine Generalin ohne Truppen
Im Herbst 2005 spricht sie im Zorn von Juschtschenkos »dreifachem Verrat«. Später besinnt sie sich und lässt diese Worte von ihrem Pressesprecher wieder zurücknehmen. Glauben sollte man aber, was ihr im Zorn entschlüpfte, und nicht, was sie im Nachhinein erklären ließ.
Wenn man die Welt mit Julia Timoschenkos Augen sieht, dann hat Juschtschenko sie in der Tat mindestens dreimal verraten. Zum ersten Mal, als er sie bei ihrer Entlassung aus der Regierung nicht vor Präsident Kutschma in Schutz nahm. Zum zweiten Mal, als er sofort nach ihrer Verhaftung zusammen mit Kutschma und dem Parlamentspräsidenten jenen ungeheuerlichen »Brief der drei« unterschrieb, in dem alle Angehörigen der Opposition (das heißt auch sie, die schon im Gefängnis saß) pauschal als »faschistische Clique« bezeichnet wurden. Zum dritten Mal, als er sie nach dem Maidan und nach sieben Monaten aufreibender Arbeit in der Regierung als Ministerpräsidentin absetzte.
Aus Julia Timoschenkos Sicht ist das ein ständiges Thema ihres
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