Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Menschen sehen und spüren, dass Juschtschenko die Macht nicht anstrebt, um sich zu bereichern oder seinen Ehrgeiz zu befriedigen. Er ist zurückhaltend, ehrlich, aufrecht, kompetent und fast ohne jegliche persönliche Ambitionen. Langsam, aber heftig verliebt sich die Ukraine in Viktor Juschtschenko.
Für Julia Timoschenko wird der unentschlossene ehemalige Regierungschef zum ersehntesten und zugleich unerträglichsten Menschen in der Ukraine. Wenn es ihn nicht gäbe, stünde der Weg zur Macht für sie offen. In einem Land, in dem außer Kutschma mit seinen Oligarchen und Julia Timoschenko mit ihrer revolutionären Mission niemand anders zur Verfügung stünde, wäre sie früher oder später Präsidentin. So aber zieht Juschtschenko ihr die Wähler ab und hat es nicht einmal eilig, ihnen zu erklären, wohin er sie führen will. Sein Wahlblock mit dem tristen, wenig attraktiven Namen »Unsere Ukraine« besteht im Wesentlichen aus Leuten wie er, »gemäßigten« Oppositionellen, denen an diesem Staate alles zusagt außer ihrer eigenen Lage. Von Kutschma hinausgeworfene Beamte. Geschäftsleute, die mit dem amtierenden Präsidenten nicht zurechtkamen. Millionäre, die bisher der Macht zu fern standen, um Milliardäre zu werden. Diese Leute wollen keine Revolution. Sie haben nicht die Absicht, am bestehenden System etwas zu ändern. Sie wollen unter Juschtschenko zur Macht gelangen oder zu ihr zurückkehren.
Am 27. September 2001 schreibt Timoschenko einen offenen Brief an Viktor Juschtschenko. Auf einer Pressekonferenz mit riesiger Beteiligung gibt sie ihn bekannt. Als er am nächsten Tag in den Zeitungen erscheint, stößt er auf lebhaftes Interesse.
Ein erstaunlicher Text, in dem alle Gefühle zusammenfließen, die sie in diesem Augenblick für diesen Mann empfindet. Begeistert erinnert sie an die Zeit gemeinsamer Arbeit in der Regierung und an einzelne seiner Eigenschaften. Dass er zum Beispiel zu keiner Heuchelei fähig ist. Aber sie warnt, dass »destruktive politische Kräfte« weiter versuchen werden, Juschtschenkos hohe Umfragewerte zu nutzen und ihn in ihre schmutzigen Geschäfte hineinzuziehen. Sie wirft ihm vor, er lasse sich zuweilen davon verlocken, spiele mit Oligarchen und Parteistrukturen »des Hofes«. Sie fordert, er möge »unverzüglich und klar« die Frage beantworten, ob er bereit sei, zusammen mit ihr und Olexandr Moros’ Sozialisten eine Mannschaft zu bilden, die »bei den Parlamentswahlen den Sieg erringt und ehrliche Politiker an die Macht bringt, die die Ordnung im Lande wiederherstellen«. Sie ruft ihn in die Reihen des »Forums zur Nationalen Rettung«.
Viktor Juschtschenkos Antwort war bis in die Nuancen vorhersehbar. Diesmal hüllte er sich nicht in Schweigen. Er erteilte der temperamentvollen Prinzessin auch keine Abfuhr. Er äußerte nur leichtes Befremden über den fordernden Ton des Briefes und lehnte ein Bündnis mit den Unversöhnlichen achselzuckend ab.
Julia Timoschenko war über diese Antwort weder verwundert noch gekränkt.
Die Publicity, die die Aktion mit dem offenen Brief hatte, war ihr von Nutzen. Juschtschenko sah mit seiner Ablehnung auch bei seinen Anhängern nicht gut aus: Die Dame hatte ihn zum Kampf gerufen, und er wich dem Kampf aus. Dagegen erschien Julia Timoschenko nun in einem neuen Licht. Sie war nicht nur eine Kämpferin, sondern auch fähig zum Dialog oder gar Kompromiss. Und es war nicht ihre Schuld, dass der Dialog nicht zustande kam. Außerdem hatte sie nun ihren Führungsanspruch in der Opposition deutlich artikuliert. Und natürlich spielte bei ihr auch wieder eine sehr verschlagene, typisch frauliche Berechnung mit. Kutschma und seiner Umgebung kam Spaltung im feindlichen Lager gelegen. Aus der Sicht des Präsidenten spielte Julia eine positive Rolle, wenn sie sich öffentlich mit Juschtschenko anlegte und damit die Reihen seiner Gegner schwächte. Das aber hieß, dass man sie jetzt nicht antasten würde. Sie hatte die Chance, wieder in die Rada gewählt zu werden und damit Immunität zu erlangen.
Wie in jenen Tagen die Presse schrieb, konnte sie eigentlich zufrieden sein. Aber da war noch das Problem, dass die Verhandlungen hinter den Kulissen, die ihre Leute permanent mit Juschtschenkos Vertretern führten, ihr selbst die Hände banden. Solange diese andauerten, konnte sie nicht entscheiden, wie sie weiter vorgehen wollte: abwarten, bis Viktor Juschtschenko endlich begriff und sie als Verbündete anerkannte, oder mit ihm brechen und auf eigenes
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