Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
von den westlichen Unterhändlern einzeln verabschiedete, gleichsam dazu überreden, den zweiten Wahlgang zu wiederholen. Was im Klartext hieß, sich mit Juschtschenkos Sieg abzufinden.
Keiner der hohen Politiker, die im Dezember 2004 zur Regelung des Konflikts in Kiew zusammenkamen, brachte dagegen Einwände vor. Von den Vorgängen in der Ukraine beunruhigt, sah die europäische Nomenklatura darin einen einfachen und sicheren Ausweg aus der entstandenen Lage: Wenn es einen weiteren zweiten Wahlgang gab, dann würden die Leute nach Hause gehen und für Juschtschenkos Sieg sorgen … So kam es dann auch, nur in einer etwas anderen Reihenfolge. Die Abgesandten der Nomenklatura Europas bekräftigten, dass es sich bei dem Sturm in Orange um eine Revolution der Nomenklatura gehandelt habe.
Am 1. Dezember unterzeichnete Juschtschenko das Protokoll der zweiten Verhandlungsrunde, in dem beide Seiten – Staatsmacht und Opposition – garantierten, auf Gewaltanwendung zu verzichten. Außerdem versprach Juschtschenko, die Blockade der Gebäude von Präsidialadministration, Regierung und Parlament aufzuheben. Kutschma gab die nebulöse Zusage, eine Expertengruppe einzusetzen, die Verbesserungen am Wahlgesetz vornehmen sollte. Juschtschenko verstand diesen Punkt als Einwilligung, den zweiten Wahlgang zu wiederholen. Staatsmacht und Opposition zeigten sich bereit, die Entscheidung des Obersten Gerichts zu akzeptieren, das in diesen Tagen Juschtschenkos Klage prüfte.
Die Menschen auf dem Maidan aber waren verwirrt und verunsichert. Was bedeutete, die Blockaden würden aufgehoben? Sollten sie jetzt nach Hause gehen? Das Wort »Verrat« nahm niemand in den Mund. Aber der Verdacht stand deutlich im Raum. Der Maidan vergötterte Juschtschenko, aber als der in der Nacht nach den Verhandlungen zu den Menschen sprach und die Ergebnisse als Sieg der Revolution verkaufen wollte, konnte er sie nicht überzeugen.
Ganz anders Julia Timoschenko.
Sie gab sofort eine scharfe Erklärung ab. »Man hat vergessen, den Maidan zur Unterzeichnung des Protokolls einzuladen«, sagte sie den Journalisten. »Wenn Viktor Juschtschenko versucht, den Maidan aufzuhalten, dann wird ihm das nicht gelingen. Die Leute bleiben, wo sie sind.« Auf die Frage, ob sie das Urteil des Obersten Gerichts auch dann akzeptieren werde, wenn dieses Janukowitsch zum Sieger erkläre, erwiderte sie schroff: »Unwichtig, ob Politiker das akzeptieren oder nicht. Wichtig ist, ob das Volk es akzeptiert.«
Taras Stezkiw hat ungute Erinnerungen an jene Tage: »Die Dinge entwickelten sich ganz merkwürdig: An einem Tag machten wir Revolution, am nächsten führten wir Verhandlungen. Für mich kam der entscheidende Moment, als ich mich mit Juschtschenko überwarf. Ich habe ihm Dinge gesagt, die er wahrscheinlich noch von niemandem gehört hatte. Ich bat Viktor Juschtschenko, mir dabei in die Augen zu schauen. Er aber hielt den Blick lange gesenkt. Und als er mich schließlich anschaute, wusste ich: Im Grunde seiner Seele war er kein Revolutionär … Und wir begriffen: Wir brauchten einen Kompromiss zu den für uns günstigsten Bedingungen.«
Die Revolution in Orange begann auf dem kalten, zugigen Maidan. Sie endete in gut geheizten Sälen, die den einfachen Demonstranten verschlossen waren. Im Marienpalast, wo die Verhandlungen mit den hohen Politikern Europas stattfanden. Im Obersten Gericht, wo nach langen Anhörungen schließlich das Urteil fiel, in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen sei es zu Rechtsverletzungen gekommen. Die einfachen Demonstranten aber waren es, die in diesen Tagen ihr Leben riskiert hatten.
Bis zum 26. Dezember, dem Tag des erneuten zweiten Wahlgangs, blieben die Menschen auf dem Maidan. Juschtschenko siegte mit 51,99 Prozent. Janukowitsch erhielt respektable 44,20 Prozent. An diesem Tag sprach Julia Timoschenko ihren wohl historisch gewichtigsten Satz in all diesen stürmischen Jahren. Als Vollblutpolitikerin achtete sie sogar auf den richtigen Zeitpunkt. »Es ist schon halb sieben«, verkündete sie nach einem raschen Blick auf die Uhr, »und Wladimir Putin hat Janukowitsch noch nicht gratuliert. Das heißt, für Juschtschenko ist alles in Ordnung.«
Der Maidan leerte sich auch nach der Wahl nicht. Die Menschen warteten ab, wie das Oberste Gericht über Janukowitschs Klage entscheiden würde, der das Wahlergebnis angefochten hatte. Er verlor, und am 23. Januar wurde Präsident Juschtschenko in sein Amt eingeführt. Zunächst offiziell in
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