Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
würden.
Dem scheidenden Präsidenten ging es vor allem um Garantien für seine persönliche Sicherheit. Außerdem boten die Verhandlungen ihm die Chance, Zeit zu gewinnen und seine Kräfte umzugruppieren. Kutschma wusste genau: Die mit Juschtschenko sympathisierenden Europäer wollten vor allem einen friedlichen Ausgang der Krise. Durch die Verhandlungen wurden die »Extremisten« außer Gefecht gesetzt. Gespräche konnten Kutschma von dem Albtraum erlösen, der von Julia Timoschenko geführten Menge allein Auge in Auge gegenüberzustehen. Verhandlungen boten die Aussicht auf einen Deal. Und Juschtschenko hatte Julia Timoschenko wohlweislich nicht in seine Verhandlungsdelegation aufgenommen.
Durch Kutschmas und Juschtschenkos Eingreifen wurde die Revolution in Orange rasch wieder zu dem, was sie von Anfang an gewesen war: eine Revolution der Nomenklatura, in der die neue Generation, die im Schoß der alten Staatsmacht herangewachsen war, die alten Führungsfiguren beiseiteschob.
Vom ersten Tag der Revolution bewegte sich Kutschma extrem vorsichtig. Im Unterschied zu Putin gratulierte er Janukowitsch nicht ein einziges Mal zur Wahl. Er ließ zu, dass der »Fünfte Kanal«, inzwischen zum Sprachrohr des Maidans geworden, weitersendete. Sicher nicht ohne sein Zutun stoppte das Oberste Gericht des Landes den Beschluss der Zentralen Wahlkommission über den Sieg Janukowitschs im zweiten Wahlgang, noch bevor es alle Klagen der Opposition geprüft hatte.
Als es Kutschma gelungen war, durch die Verhandlungen Zeit zu gewinnen, fing er, wie es seine Art war, gleich mehrere politische Spiele an, mit denen er seine Gegner zu verwirren und Spuren zu verwischen trachtete.
Als Erstes unternahm er den Versuch, das Land zu spalten. Auf sein stummes Signal hin erklärten die Regionalchefs der Ost- und Südukraine, sie beabsichtigten, einen neuen Staat mit der Hauptstadt Charkiw zu gründen. Das war ein schwerer Schlag gegen Juschtschenko. Das Gespenst einer territorialen Spaltung schwebte seit der Erlangung der Unabhängigkeit über dem Land. Kutschmas Absicherungspolitik nach allen Richtungen war in den letzten zehn Jahren die beste Garantie für die Einheit der Ukraine gewesen. Sein aktueller Plan war einfach: Das Land zerfällt und träumt von seiner früheren Einheit. Die kann ihm nur Kutschma geben, der im Glorienschein des Retters des Vaterlandes, von West und Ost gleichermaßen ersehnt, im Triumph zur Macht zurückkehrt.
Hier machte sich der Präsident allerdings Illusionen. Seine triumphale Rückkehr zur Macht war in den Tagen der orangefarbenen Revolution nicht mehr vorstellbar. Aber die Furcht vor der Spaltung schwächte die Opposition.
Kutschma hatte noch eine weitere Variante vorbereitet. Statt den zweiten Wahlgang zu wiederholen, worauf die Opposition bestand, führte man am besten die ganze Wahl noch einmal durch. Damit waren nach dem Gesetz Juschtschenko wie Janukowitsch aus dem Rennen. Die Karten wurden neu gemischt, und man konnte einen frischen Kandidaten ins Spiel bringen, der nicht so verschrien war wie der zweifach vorbestrafte Pate des Donbass. Für diesen Fall hatte Kutschma einen ausgezeichneten Mann in Reserve. Es war der frühere Komsomol-Chef von Dnipropetrowsk, Julia Timoschenkos alter Bekannter, der erfolgreiche Bankier und Träger des Ordens der französischen Ehrenlegion: Sergj Tigipko.
Auf jeden Fall musste man die Sache hinziehen und darauf setzen, dass Kälte und Erschöpfung das orangefarbene Feuer auf dem Maidan schließlich zum Erlöschen bringen würden. Es galt, Juschtschenko Zugeständnisse abzuringen. Und zwar solche, die dem äußeren Anschein nach geringfügig, für die Staatsmacht aber äußerst wichtig waren. Zum Beispiel, dass die Blockade der staatlichen Behörden durch die Demonstranten aufhörte. Und dass die Blechtonnen endlich verstummten.
Wenn man heute zurückblickt, muss man einräumen: Kutschmas Lavieren in den Tagen der Revolution, das eines Talleyrand würdig gewesen wäre, hat sich für die Ukraine zum Guten ausgewirkt. Dabei spielt es keine Rolle, was er mehr gefürchtet hat – den Maidan, eine Meuterei seiner Armee oder ein künftiges Strafgericht, wenn nicht das Haager, dann das der Geschichte. Nach langem Grübeln begriff er schließlich: Wäre das Blut von Ukrainern geflossen, dann hätte er sich auch mithilfe des Kreml nicht mehr lange halten können. Ein anderer Weg, die Macht zu behalten, war ihm ohnehin nicht geblieben. So ließ er sich, als er sich
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