JULIA VALENTINSBAND Band 19
hatten, und zahlreiche Restaurants und Bars. Sie trafen andere Gäste vom Schiff, die das kühle Wetter ebenfalls für einen Landgang nutzten.
Wes und Erin schlenderten an einem geschlossenen Antiquitätenladen vorbei, in dem Skulpturen aus Metall verkauft wurden. Auf einem Platz hatten sich ein paar Leute auf den Bänken niedergelassen und dösten, während die Kinder um sie herumtobten und das schulfreie Wochenende genossen.
Ein kleines Mädchen überredete Wes, ihr Kaugummi zu kaufen. Erin verkniff sich ein Lächeln.
„Die Kleine wickelt dich problemlos um den Finger“, meinte sie.
Wes steckte die Hände in die Jackentasche und gab sich alle Mühe, nicht laut loszulachen. Sie verschwanden in einer Einkaufsstraße mit weiteren kleinen Läden. Erin freute sich über einen Stand mit Lederportemonnaies und kaufte fünf Stück für ihre Nichten in Milwaukee.
Während sie die bunten Schals und kitschig bedruckten T-Shirts bewunderten, stellte Wes fest, dass ihre Übelkeit plötzlich verschwunden war, seit sie das Schiff verlassen hatten. Vielleicht lag es wirklich daran, dass sie festen Boden unter den Füßen hatten.
Oder vielleicht …
Kann es sein, dass Erin sich ein Spielchen mit mir erlaubt, fragte er sich zweifelnd. Dass sie sich auf die Kreuzfahrt eingelassen hat, nur um mich scharf zu machen? Und dann hält sie es kaum in der Kabine mit mir zusammen aus …
Er atmete geräuschvoll aus und wartete auf dem Gehweg, bis sie sich ein paar von den kitschigen T-Shirts gekauft hatte.
Plötzlich war es wieder da: das bohrende Gefühl, das er schon beinahe vergessen hatte.
Wes war nicht zufrieden mit seinem Leben. Es gefiel ihm nicht, was er erreicht hatte. Schon bevor er Erin kennen lernte, hatte er sich in seiner Haut nicht so recht wohlgefühlt. Dauernd trieb er sich auf Partys herum und hatte ein Date nach dem anderen. All das ging ihm auf die Nerven. Jedes Wochenende dasselbe Theater: scharfe Cocktails, heiße Flirts, und dann machten sie sich auf den Weg in seine Wohnung. Wenn die Nacht vorüber war, stellte er sich unter die Dusche und wusch sich den Schweiß von der Haut. Der ganze Film wurde zurückgespult, und am nächsten Wochenende begann alles wieder aufs Neue. Langsam konnte er sich selbst nicht mehr in die Augen schauen.
Aber als er Erin auf der Party entdeckt hatte, wie sie sich lachend an die Wand lehnte und vor Lebendigkeit nur so sprühte, war ihm plötzlich durch die Adern pulsiert, was er so lange vermisst hatte: wahre Gefühle. Als er sich mit ihr unterhielt, sah er die Dinge auf einmal in einem ganz anderen Licht. Ihm stand glasklar vor Augen, dass sie all das, was er selbst hinterfragte, mit einem Schlag ins rechte Licht rücken konnte. Manchmal widerte es ihn regelrecht an, was aus ihm geworden war. Ja, er hatte genügend Geld. Und sonst? Gab es irgendetwas, was zählte? Erin besaß zwar nur einen Candy-Shop, aber sie stand mit beiden Beinen im Leben. Mit ihrer offenen und ehrlichen Art hatte sie ihm gezeigt, wie es anders laufen könnte. Und dass sie sich geweigert hatte, noch am selben Abend mit ihm ins Bett zu hüpfen, fand er mehr als faszinierend …
Sie hat die Kraft, mein Leben zu verändern, dachte er. Einerseits fühlte er sich dadurch lebendiger als zuvor, andererseits hatte er auch Angst davor.
Am Ende bin ich doch nur ihr Clown, dachte er frustriert, ihr Übergangsmann. Daran hatte sie von Anfang an keinen Zweifel gelassen, und er wusste, dass es an der Trennung lag, über die sie nie sprechen wollte.
Es begann zu regnen. Wes schaute in den grauen Himmel.
Was hatte er eigentlich hier zu suchen?
„Regenalarm!“, platzte Erin heraus, als sie aus einem Laden auf den Gehweg hinausstolperte. Sie klemmte sich die Handtasche unter den Arm, griff nach seiner Hand und zerrte ihn unter die Markise eines Restaurants.
Ihr Lachen war unglaublich ansteckend. Aber diesmal gelang es ihm noch nicht einmal, mit ihr zu lächeln, so tief war er in seine Grübeleien versunken.
„Hallo?“ Erin zerrte wieder an seinem Arm und strahlte ihn an. Ihre Augen glitzerten vor Glück.
Glück? Warum? Lag es an ihm, dass sie sich glücklich fühlte? Gehörte das zu den Aufgaben eines Übergangsmannes?
Erin ließ nicht locker. „Was ist los?“
Wes schüttelte unwillig den Kopf. Er hatte keine Lust, sich auf ein Gespräch einzulassen. Weil er nicht hören wollte, was sie zu sagen hatte. Er wollte nicht noch einmal hören, dass er nur für den Übergang gedacht war. Die Wahrheit – ihre
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