JULIA VALENTINSBAND Band 21
Sie krallte die Fingernägel tief in ihre Handballen, ihr wurde eiskalt. Dann plötzlich schoss ihr die Hitze durch den Körper, als Burke nach ihrem Arm griff.
„Jetzt werde mir bloß nicht ohnmächtig.“
Sein schroffer Tonfall weckte automatisch Caros Überlebensinstinkt, den sie nach dieser damaligen Nacht hatte entwickeln müssen. Sie konnte nicht verhindern, dass sie am ganzen Körper zitterte, aber sie bekämpfte das Schwindelgefühl und holte tief Luft.
„Wie …? Wann …?“
„Wann ich erfahren habe, dass du schwanger warst?“, beendete er den Satz für sie. „Vor drei Monaten.“
Er ließ den Blick kurz durch die Lobby schweifen, dann sah er Caro wieder an.
„Das hier ist nicht der richtige Ort, um die Folgen unseres One Night-Stands zu besprechen. Lass uns irgendwohin gehen, wo wir unter uns sind. Ist für mich schon ein Zimmer reserviert?“
„Ich … also …“ Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. „Ja.“
„Hast du den Zimmerschlüssel?“
Diesmal konnte sie nur nicken.
„Welche Zimmernummer?“
„Fünf…“ Sie zwang sich, durchzuatmen und sich zu konzentrieren. „Fünfhundertacht.“
Er wartete auf den Gepäckträger, um ihm die Nummer zu geben, dann zog er Caro zu den Fahrstühlen. Er hatte die ganze Zeit ihren Unterarm umfasst. Sie fühlte sich von ihm wie eingefangen in einem Käfig.
Auf dem Weg nach oben sagte sie kein Wort. Sie war immer noch vollkommen überrumpelt und versuchte verzweifelt, die Gefühlsaufwallung, die sie plötzlich überfallen hatte, nicht zu zeigen.
Sie hatte geglaubt, ihre Vergangenheit überwunden zu haben.
War sich so sicher gewesen, das alles vergessen war: diese lähmende Angst, als sie herausfand, dass sie schwanger war; die Scham, dass sie die Highschool verlassen musste; und die Verzweiflung darüber, dass sie in ein Heim für schwangere Teenager verfrachtet worden war.
Trotz allem spürte sie noch immer den Schmerz über die Totgeburt nach sieben Monaten. Der hatte sie seitdem immer begleitet. Diese Erfahrung hatte aus ihr die Frau geformt, die sie heute war. Ruhig. Gefasst. Vorsichtig.
Und stark, rief sie sich grimmig in Erinnerung. Stark genug, um zu überleben. Stark genug, um dies alles durchzustehen. Und ganz sicher stark genug, um mit Rory Burke fertigzuwerden.
Rory Burke. Der Name passte zu dem Mann, der aus ihm geworden war, aber irgendwie konnte sie ihn kaum mit dem lässig gekleideten großspurigen Achtzehnjährigen in Verbindung bringen, der vor so vielen Jahren einen Sommer lang bei ihrem Onkel in der Autowerkstatt gearbeitet hatte.
„Ich kannte deinen richtigen Namen überhaupt nicht“, brachte sie schließlich steif über die Lippen, als sie aus dem Aufzug stiegen. „Mein Onkel und mein Cousin haben dich immer nur Johnny genannt.“
Oder Aufreißer, wie ihr Cousin ihr später voller Scham gestanden hatte. Aber da war es schon zu spät gewesen.
„John oder Johnny ist mein zweiter Vorname. Den habe ich abgelegt, als ich in die Armee kam. Beim Militär fasst man sich gerne kurz, wenn man die Rekruten aufruft.“ Er blieb vor einer Doppeltür stehen. „Fünfhundertacht. Hier ist es.“
Sie suchte in dem Lederfolder nach der Schlüsselkarte. All ihre sorgfältig vorbereitete Arbeit – der Ablaufplan, die Raumaufteilung, die zusätzlichen Maßnahmen – blieben unbeachtet, als Burke die Karte in das Schloss steckte und zur Seite trat, um Caro vorzulassen.
Sie hatte die großzügige Vierzimmer-Suite gerade vor einer halben Stunde überprüft. Der Begrüßungskorb stand noch immer auf der polierten Marmorplatte des Kaffeetisches. Die handgeschriebene Notiz des Resortmanagers lag ebenfalls noch daneben. In der Minibar befand sich genügend Single-Malt-Whiskey, Burkes bevorzugte Marke. Doch Caro fühlte sich jetzt viel zu benommen, um auch nur eines dieser Details zu registrieren, die sie so akribisch überprüft hatte.
Sie legte den Lederfolder neben den Korb auf die Marmorplatte. Die Arme um sich geschlungen, drehte sie sich zu dem Mann um, von dem sie nie erwartet hätte, ihn jemals wiederzusehen.
„Du hast gesagt …“
Erschrocken verstummte sie, als sie ihre heisere Stimme vernahm. Verdammt! Sie war keine verschüchterte Siebzehnjährige mehr! Sie hatte die ständigen Anklagen ihrer Eltern überstanden. All die einsamen Wochen in dem Heim. Den schmerzhaften Verlust ihres Babys.
In dieser Zeit hatte sie eine Stärke in sich entdeckt, die sie nicht vermutet hätte. Sie war ihrem inneren Drang
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