JULIA VALENTINSBAND Band 21
durch den Kopf, und sie drehte sich noch einmal zum Krankenhaus um. Aber Suzanne brauchte jetzt Ruhe, und ihr Vater wollte seine kleine Tochter ungestört genießen. Da wollte sie nicht stören.
Was jetzt?
Fröstelnd setzte sie sich in Bewegung, lief ziellos die Straße hinunter, bis sie zu einem Feld kam, auf dem ein Jahrmarkt aufgebaut war. Langsam drehte ein Riesenrad seine Kreise, bunte Karussells lockten die Kinder an, ein Clown in einer viel zu großen gestreiften Hose jonglierte auf einem Einrad mit roten und blauen Lederbällen und blies dazu in ein Horn.
Sie wanderte zwischen den Buden umher und wehrte einen Mann ab, der sie unbedingt überreden wollte, mit Stoffbällen auf Dosenstapel zu werfen und vielleicht eine Puppe zu gewinnen. Im Werfen war sie immer schon eine Niete gewesen.
Ihre Augen verschleierten sich. Ben fehlte ihr, und auf einmal spürte sie ihre Einsamkeit so schmerzhaft wie nie zuvor. Was sollte sie nur tun?
„Kommen Sie herein und lassen Sie sich die Zukunft vorhersagen!“
Celeste fuhr herum. Die Stimme gehörte einer alten Frau in einem grün-lila Zigeunergewand, die sie mit gekrümmtem Finger zu sich lockte. „Sie haben sich verirrt, aber Sie werden Ihren Weg bald finden.“
Celeste musste lachen. Natürlich wirkte sie irgendwie verloren, wie sie da ohne Ziel herumlief, den Blick auf den Boden geheftet. Dennoch …
Die Alte hatte eine Kristallkugel, die viel größer und eindrucksvoller war als die, die sie damals mit Ben zusammen im Schaufenster gesehen hatte. „Was sehen Sie noch?“, wollte Celeste wissen und trat näher.
In den dunklen Augen der Frau stand ein Funkeln. Mit einer dramatischen Geste strich sie mit ihren krummen Händen einmal, zweimal über die Kugel. „Ich sehe Wärme – und kalte, harte Eiswände.“ Sie starrte in die Kugel, und ihre Miene hellte sich auf. „Aber ich sehe die große Wärme zurückkehren. Sie haben Angst zu verbrennen, aber Sie dürfen sich nicht fürchten. Etwas Neues, Aufregendes kommt auf Sie zu.“ Sie sah Celeste an. „Hören Sie auf die guten Geister“, flüsterte sie heiser.
Ein kalter Schauder ließ Celeste frösteln, und der Wind blies ihr das Haar ins Gesicht. Und als sie es hinter die Ohren schob und sich in den Wind drehte, stand Ben auf einmal vor ihr.
Er beugte sich vor. „Buh!“
Hören Sie auf die guten Geister …
Celeste drehte sich zu der Wahrsagerin um, die ihre falsche Nase zurechtrückte und sich dann nach einem Tuch bückte und begann, ihre Kugel zu polieren. „Ich lese auch aus dem Kaffeesatz, wenn Sie wollen. Ansonsten bekomme ich zwei fünfzig.“
Celeste fühlte sich wie Alice im Wunderland. Vorsichtshalber berührte sie Bens schwarzen Pullover und seufzte dann erleichtert. Er war echt.
„Wohin bist du so plötzlich verschwunden?“, wollte sie wissen.
„Ich habe ein Café gesucht, in dem sie anständigen Kaffee kochen. Hast du jemals das Gebräu probiert, das sie im Krankenhaus als Kaffee ausgeben?“ Schon allein die Vorstellung ließ ihn sichtlich erschaudern. „Die Schwester sollte dir das ausrichten, falls ihr mich vermisst.“
Langsam fiel die Anspannung von Celeste ab. Offenbar war ihr einfach die falsche Krankenschwester über den Weg gelaufen.
„Als ich dann in den Parkplatz einbog, sah ich dich die Straße hinunterwandern. Also habe ich die Kaffeebecher im Auto gelassen und bin dir gefolgt.“
Celeste strich über seinen Pullover. „Du hast dich umgezogen.“
„Ich habe im Radio gehört, dass ein Temperatursturz bevorsteht. Deshalb habe ich auch deine Jacke mitgebracht.“ Er half ihr hinein und rieb ihr die Schultern, bis ihr warm geworden war.
Dann standen sie einfach nur da und sahen sich in die Augen.
„Ich muss dir etwas …“, begannen sie beide gleichzeitig.
Ben lachte. „Ladys first.“
Celeste versuchte, ihre Nerven in den Griff zu bekommen und ihre Gefühle in Worte zu fassen. „Ich habe nachgedacht – darüber, dass du mir PLM zurückgeben willst und dass du mich heute ins Krankenhaus gefahren hast. Und darüber, wie das mit uns weitergehen soll.“
In seinen Augen blitzte ein kleines Licht auf und verlöschte gleich wieder. „Ich will ganz ehrlich sein: Ich möchte nicht, dass meine Kinder von Fremden aufgezogen werden. Kinder müssen sich auf ihre Eltern verlassen können, zu jeder Tages- und Nachtzeit.“
„Einverstanden, solange beide Elternteile sich gemeinsam am Familienleben beteiligen und alle damit zufrieden sind, das Kind eingeschlossen.“
Ben
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