Julia-Weihnachten Band 24
hinterhältig.“
Holly verdrehte die Augen und verzog gelangweilt den Mund. „Was für eine absurde Idee.“
Bryan tat genauso gleichgültig wie sie. „Ich könnte es ja Matt mal erzählen, dann …“
Plötzlich wurde sie hellwach. „Nein! Ich meine … das ist nicht nötig.“
Er lächelte. „Ich kann es auch lassen. Also spuck schon aus, was du über Katie weißt.“
„Du meinst also wirklich, ich soll Katies tiefste Seelengeheimnisse ausplaudern? Tja, ich könnte dir erzählen, dass ihr Vater genauso ein verrückter Stuntpilot war wie du, der ihr ständig irgendwas versprochen hat, ohne es zu halten. Weil immer ein neuer, aufregender Job ihn davon abhielt. Ich könnte dir auch erzählen, dass er es irgendwann nach all den vielen Enttäuschungen geschafft hat, ihre Illusionen völlig zu zerstören. Als er wieder mal einen riskanten Auftrag angenommen hatte, ohne dass es nötig gewesen wäre, ist er mit seiner Maschine tödlich verunglückt.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich könnte dir das alles bis in die kleinsten schrecklichen Einzelheiten erzählen, aber … nein, so was mache ich nicht, das ist nicht mein Stil.“
Bryan starrte sie ungläubig an, doch zum ersten Mal, seit er sie kannte, konnte er nichts Hinterhältiges in ihrem Blick entdecken. „Das stimmt doch alles gar nicht, oder?“
„Willst du damit sagen, dass ich lüge?“
Sein Herz zog sich vor Mitgefühl zusammen, und er schloss für einen Moment die Augen. Oh Katie, dachte er.
„Ach, weißt du“, sagte Holly mit einer Spur Verachtung in der Stimme. „Sie braucht dir nicht leidzutun, sie hat es immer irgendwie geschafft, aus allem Schlamassel herauszukommen. Sie und ihre Mutter haben eine Riesensumme von der Lebensversicherung bekommen. Katie konnte sich das beste College aussuchen. Sie bekam alles, was sie wollte, und hätte richtig was aus sich machen können – der Himmel weiß, wieso sie eine langweilige Buchhalterin geworden ist. Aber das ist eine andere Geschichte. Tatsache ist jedenfalls, dass sie von alldem ganz schön profitiert hat.“
„Und du nicht“, sagte Bryan ruhig und merkte seltsamerweise, wie plötzlich Holly ihm leidtat und nicht Katie. Was war das bloß für eine Frau, die Katies schlimme Vergangenheit kannte und trotzdem neidisch auf sie war?
Er stieg aus und verabschiedete sich mit einem kurzen Winken von Holly. Das, was sie ihm da eben erzählt hatte, musste er erst einmal verdauen. Während er zu dem Bürogebäude hinüberging, ließ er seinen Gedanken freien Lauf. Was er für Katie empfand, hatte nicht so sehr mit Mitleid zu tun als vielmehr mit Bedauern. Auch ein wenig Stolz war dabei, dass sie es geschafft hatte, aus dieser schlimmen Situation herauszukommen. Jetzt verstand er viel besser, was sie in ihm sah. Für sie repräsentierte er alles, worunter sie bei ihrem Vater gelitten hatte.
Dieses Bild von sich selbst gefiel ihm gar nicht.
Die ganze Zeit hatte er sich nur Gedanken darüber gemacht, wie eine Frau mit so viel versteckter Leidenschaft und Lebenslust ihre Vitalität derart unterdrücken konnte. Und warum sie vorgab, nichts zu empfinden. Schlimmer noch, so tat, als ob sie niemanden brauchte.
Auf die Idee, dass ihre Vergangenheit sie zu dem gemacht hatte, was sie war, wäre er nie gekommen. Dabei gab es doch meistens einen Grund für das Verhalten von Menschen.
Er fragte sich, ob sie wirklich glaubte, für den Rest ihres Lebens so weitermachen zu können wie jetzt, indem sie ängstlich jedes Abenteuer und alles, was das Leben spannend machte, vermied. Begriff sie denn nicht, was sie da alles verpasste?
Doch, sie wusste genau, was sie verpasste, davon war er überzeugt. Aber ihre Angst, wieder verletzt zu werden, war größer.
Als er an ihrer Bürotür vorbeikam, blieb er stehen und drückte die Klinke herunter, ohne darüber nachzudenken, was er ihr eigentlich sagen wollte. Ihr Büro war leer. Er ging trotzdem hinein und betrachtete nachdenklich ihren extrem ordentlichen Schreibtisch. Ihm wurde klar, dass er jetzt zwar einiges über Katies Vergangenheit wusste, was vieles von ihrem Verhalten ihm gegenüber erklärte, aber dass das nur ein Teil des Problems war.
Der andere Teil war, dass sie grundlegend verschieden waren.
In diesem Büro war nicht das kleinste Staubkörnchen zu sehen. Alles lag fein säuberlich an seinem Platz, kein Bleistift, keine Büroklammer, die nicht sorgfältig in Behältern verstaut war.
Nachdenklich machte er sich auf den Weg zu seinem eigenen Büro.
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